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Wenn die Motive edel, aber die Taten strafrechtlich relevant sind

Neuer Rechtfertigungsgrund „Aktivismus“ im Anmarsch?

Wenn in Wäldern illegale Bauten errichtet, in Emden massenhaft Autoschlüssel entwendet und auf die Zugspitze verfrachtet - oder Hauptverkehrsstraßen durch am Asphalt festklebende Menschen blockiert werden, dann nennen die Medien die Täterinnen und Täter gerne „Aktivisten“. Und da „aktiv“ - jedenfalls sehr häufig - eine durchweg positive Konnotation hat, führt diese Verniedlichung nicht zu selten zu der Annahme: Sie kämpfen doch für eine gute Sache - wie können die angewandten Mittel dann strafbar sein?

Kollegialer Aktivismus als Altruismus, der politisch auf die Sprünge hilft?

Machen Sie doch einmal die Probe aufs Exempel: Klauen Sie Ihrem Arbeitskollegen einfach mal dessen Autoschlüssel und verfrachten den Schlüssel anschließend auf dem Schneeferner Gletscher. Beim Vorwurf „Diebstahl!“ kontern Sie keck, Sie hätten sich den Schlüssel nur „geliehen“, jedenfalls nicht auf Dauer behalten wollen und im Übrigen fahre der Kollege immer noch einen Verbrenner: Sie hätten ihn zum Umstieg auf die E-Mobilität motivieren wollen.

Der Kollege steigt jedoch nicht um, sondern erstattet Strafanzeige. Wird sich die zuständige Staatsanwaltschaft von Ihrem Motiv beeindrucken lassen? Natürlich nicht! Sie werden die Presse garantiert nicht auf Ihrer Seite haben, denn niemand würde Sie „Aktivist“ nennen, sondern vermutlich Dieb. Zumindest mutmaßlicher Straftäter.

Die Gewalt gewaltenloser Handlungen

Ob politisch motivierte - nennen wir sie einmal neutral - „Handlungen“ tatsächlich Fälle für die Strafgerichte sind, ist nicht erst seit einigen Jahren umstritten, sondern seit Jahrzehnten! Der Klassiker ist dabei die Sitzblockade von Straßen, Schienen - oder Zufahrten, Stichwort „Mutlangen 1983“ als Protest gegen die Stationierung der Pershing-II-Raketen. Und in der Tat ist - nicht nur, aber gerade bei Sitzblockaden - die Frage, ob der Tatbestand des § 240 I StGB Nötigung erfüllt ist, gar nicht so leicht zu beantworten.

Die rechtswidrige Handlung muss begangen werden „mit Gewalt“ oder „durch Drohung mit einem empfindlichen Übel“. Üben aber diejenigen, die sich schlicht auf die Straße setzen oder sich dort festkleben, tatsächlich „Gewalt“ aus? Physische sicher nicht, aber vielleicht Psychische!? Und drohen sie tatsächlich mit einem empfindlichen Übel? Wenn ja, mit welchem?

Kaum ein Zweiter dürfte hier so vielfältige Erfahrungen gesammelt haben, wie Klaus Laepple, der Mitte der 60er Jahre in Köln die Proteste gegen die Fahrerhöhungen der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) anführte, natürlich inklusive Blockade der Schienen. Der Fall beschäftigte nachfolgend mehrere Gerichte bis hinaus zum Bundesverfassungsgericht. Schon damals war die Frage der Strafbarkeit höchst umstritten. Und obendrauf verlangten die KVB von dem „Rädelsführer“ Laepple knapp 90.000 D-Mark Schadenersatz...

Laepple kam übrigens nicht aus dem linken politischen Spektrum - ganz im Gegenteil. Er hatte sich schon früh in der Jungen Union engagiert und war zu dieser Zeit ASTA-Chef der Universität zu Köln. Beruflich war er später jahrzehntelang als Tourismusmanager tätig.

Eine alte Debatte

Seit Jahrzehnten(!) wird vor den Gerichten und in der juristischen Literatur darüber gestritten, wie der Begriff „Gewalt“ auszulegen sei. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 73,206 ; 76, 211) sah sich „genötigt“ - der Kalauer musste an dieser Stelle unbedingt sein - seine Rechtsprechung zu modifizieren. „Die erweiterte Auslegung des Gewaltbegriffs im Zusammenhang mit Sitzblockaden verstößt gegen Art. 103 II GG, soweit die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur in psychischer Gewalt besteht“. Diese Entscheidung wurde vielfach kritisiert, mit teils beachtlichen Argumenten - und dieser Meinungskampf hält bis heute an. Kein Wunder, dass die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften intensiv darüber nachdenken, ob eine Sitzblockade nun tatsächlich strafrechtlich zu ahnden ist - oder nicht. Das daneben auch noch andere Straftatbestände zu prüfen sind, u.a. „Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr“ macht die Sache nicht einfacher.