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Warum der große Wurf nicht gelingen will

Cloud in der Verwaltung

Seit mindestens zehn, vielleicht 15 Jahren stehen verlässliche und wettbewerbsfähige Cloudlösungen für Infrastruktur, Software, Plattformen oder Dienste zur Verfügung. Die Industrie hat die Chancen früh erkannt und bereits jahrelange Erfahrung mit der neuen Flexibilität, von Public- bis Private-Cloud sowie allen möglichen Mischformen. Die deutsche Verwaltung ist dabei weitgehend außen vor, obwohl eigentlich allen IT- und Prozessverantwortlichen im öffentlichen Dienst seit vielen Jahren die besonderen Potenziale bekannt sind. Kein anderer Sektor ist derart horizontal und vertikal integriert (Föderalismus), hat ein so großes Konsolidierungspotenzial oder wäre durch den demografischen Wandel dringender auf Automatisierung angewiesen.

Arbeitsweise

Softwareentwicklung, insbesondere die Cloud- und Containerwelt, haben moderne Arbeitsweisen und Projektstrukturen herausgebildet. Die haben im Kern alle die gleiche Erkennungsmelodie: Es wird ein iterativer Prozess zu Grunde gelegt: Ideen sammeln, ausprobieren, verwerfen oder vertiefen. Einfach anfangen. Agil eben. Denn je komplexer Strukturen und Aufgaben werden, desto wichtiger ist es, handhabbare Arbeitspakete zu schnüren und diese kollaborativ zu einem Gesamtergebnis zusammenfügen. Das funktioniert nicht nur in einer nerdigen Techie-Community, aber ist so ziemlich das Gegenteil der gelebten Praxis der Verwaltungswelt.

Die Verwaltung übernimmt hoheitliche Aufgaben und Verwaltungsentscheidungen sind Staatsakte. Daraus resultierten eine besondere Verantwortung und Sorgfaltspflicht. Die Dienstleistungen der meisten Behörden sind von besonderer Sichtbarkeit für Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen, und Verwaltungsakte werden regelmäßig juristisch überprüft. Die Einrichtungen selbst werden durch politische Prozesse bestimmt und demokratisch kontrolliert. Diese Melange verlangt dem öffentlichen Sektor ein Höchstmaß an Transparenz und Akribie ab.

Pfadabhängigkeit

Die Verwaltung ist bereits digitalisiert. Selbstverständlich arbeiten Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes mit Plattformen, Fachanwendungen und Bürosoftware. So manche Wortmeldung vermittelt den Eindruck, als sei die Verwaltung flächendeckend mit Schreibmaschine und Hängeregister unterwegs. Das ist nicht nur ungerecht, sondern schadet sogar. Denn es verkennt, dass wir mit der Staatsmodernisierung nicht auf einer grünen Wiese unterwegs sind. Es gibt vielfältige Pfadabhängigkeiten bei Prozessen, Technik und nicht zuletzt Regulatorik. Hinzu kommen neue Anforderungen an Sicherheit, Nachhaltigkeit und digitale Souveränität.

Dennoch wird seit Jahren versucht, die eine allumfassende Lösung, den großen Wurf, zu konzipieren. Unzählige Strategieprozesse wurden aufgesetzt, Förderprogramme beschlossen oder neue Einheiten gegründet. Immer nach der Methode Wasserfall, die alle Anforderungen noch vor der allerersten Erprobung genau spezifiziert und dann abarbeitet. Auch beim Thema Cloud. Nach dem Ende der Deutschland-Cloud von Telekom und Microsoft drängen neuerdings auch Hyperscaler wieder verstärkt mit Souveränitätsclouds in den Markt für öffentliche Auftraggeber. Es besteht die Gefahr, dass auch dies nur neue Versionen der immer gleichen Wasserfall-Methode sein werden.

Es ist Zeit für einen Strategiewechsel: Statt des großen Wurfs, der alle Anforderungen und Zielkonflikte einzufangen versucht, einzelne Projekte zu beginnen. Wir brauchen Ankerkunden in der Verwaltung, mit denen wir uns auf den Weg machen, zunächst unkritische Workloads, danach einzelne Fachanwendungen und Dienste in die Cloud zu verlagern. Wertvolle Erkenntnisse könnten so gesammelt werden, aus Fehlern gelernt werden, bei überschaubarem Risiko. Auch hier geht es darum, kleine Arbeitspakete zu schaffen und diese später kollaborativ zu einem Gesamtergebnis zusammenfügen. Angesichts der hier sicherlich nicht abschließenden Darstellung von Herausforderungen ist es vielleicht an der Zeit, etwas zurückzurudern, statt in immer größeren Wasserfällen baden zu gehen.