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Ausschreibungsfreie Inhouse-Geschäfte: Konsequenzen aus der aktuellen Rechtsprechung

Das Vergaberecht verlangt von öffentlichen Auftraggebern, entgeltliche Liefer-, Dienst- und Bauleistungen im Wege eines offenen, transparenten, diskriminierungsfreien und wettbewerblichen Verfahrens zu beschaffen. 

Eine Ausnahme gilt hingegen bei sog. Inhouse-Geschäften unter den Voraussetzungen des § 108 GWB. Danach muss 

  • der öffentliche Auftraggeber über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausüben (sog. Kontrollkriterium), 

  • die juristische Person mehr als 80% ihrer Tätigkeit für den kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder für eine andere juristische Person ausführen, die von demselben Auftraggeber kontrolliert wird (sog. Wesentlichkeits- oder Tätigkeitskriterium), und  

  • an der juristischen Person keine direkte private Kapitalbeteiligung bestehen. 

Sind diese Voraussetzungen allesamt erfüllt, darf der öffentliche Auftraggeber eine juristische Person ohne die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung direkt beauftragen.  

Neben diesem klassischen Fall des Inhouse-Geschäfts sind auch weitere Inhouse-Konstellationen denkbar und gesetzlich verankert, namentlich die ausschreibungsfreie Vergabe eines Auftrags  

  • durch einen öffentlichen Auftraggeber an ein lediglich mittelbar kontrolliertes Unternehmen (§ 108 Abs. 2 S. 2 GWB),  

  • durch ein Unternehmen an den kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber (§ 108 Abs. 3 S. 1 Var. 1 GWB – sog. inverse Inhouse-Vergabe),  

  • durch eine Tochtergesellschaft an ein anderes Unternehmen, das von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrolliert wird (§ 108 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GWB – sog. horizontale oder Schwester-Schwester-Vergabe) sowie 

  • durch einen öffentlichen Auftraggeber an ein Unternehmen, das der öffentliche Auftraggeber nicht allein, sondern gemeinsam mit weiteren öffentlichen Auftraggebern kontrolliert (§ 108 Abs. 4 GWB).

Die gesetzlich geregelten Inhouse-Konstellationen lassen sich folgendermaßen grafisch darstellen: 

Diese Inhouse-Ausnahmetatbestände entsprechen im Wesentlichen Artikel 12 der Richtlinie 2014/24/EU und sind stets im Lichte dieser Richtlinie und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auszulegen.

In den vergangenen Jahren ist in der deutschen Vergaberechtspraxis eine extensive Auslegung der Inhouse-Ausnahmetatbestände feststellbar, die auch Kombinationen unterschiedlicher Inhouse-Tatbestände für zulässig erachtet (vgl. u.a. VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 21.09.2020, VK-SH 13/20; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 07.08.2019, VII-Verg 9/19). Aktuelle Entscheidungen des EuGH sowie des OLG Naumburg deuten allerdings darauf hin, komplexe Inhouse-Konstellationen zunehmend kritischer zu sehen. Im Folgenden sollen diese Entscheidungen und deren Konsequenzen für die Inhouse-Vergabepraxis näher beleuchtet werden:

EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2022, C-383/21, C 384/21 – SLSP Sambre & Biesme

Der Entscheidung des EuGH lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine gemeinwirtschaftliche Wohnbaugesellschaft (SLSP Sambre & Biesme) beabsichtigte, ein im Bereich der Planung und Verwaltung tätiges Unternehmen (Igretec) direkt unter Verweis auf das Inhouse-Privileg mit Asbestinventurleistungen zu beauftragen. Der Auftraggeber war am Kapital des Auftragnehmers beteiligt, jedoch in einem Umfang, der ihm nicht erlaubte, einen Vertreter in den Verwaltungsrat des Auftragnehmers zu entsenden. Der Fall zeichnete sich durch die Besonderheit aus, dass der Auftraggeber sowie der Auftragnehmer unter anderem im Eigentum einer Gemeinde (Gemeinde Farciennes) standen. Dabei war die Gemeinde durch dieselbe Person im Leitungsorgan des Auftraggebers wie auch des Auftragnehmers vertreten. Die Kontrollbeziehungen stellten sich danach wie folgt dar:

Der EuGH hatte nun zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für ein Inhouse-Geschäft gemäß Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU (entspricht § 108 Abs. 4, 5 GWB) vorlagen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das für Inhouse-Geschäfte konstitutive Kontrollkriterium im Verhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer nicht erfüllt ist, da der Auftraggeber im Leitungsorgan des Auftragnehmers nicht direkt vertreten war. Der Umstand, dass der Vertreter der gemeinsamen Gesellschafterin (Gemeinde Farciennes) im Leitungsorgan des Auftragnehmers zugleich – zufälligerweise – im Leitungsorgan des Auftraggebers sitzt und dadurch mittelbar die Interessen des Auftraggebers in den Gremien des Auftragnehmers vertritt, lässt der EuGH nicht ausreichen.

OLG Naumburg, Beschluss vom 3. Juni 2022, 7 Verg 1/22

Der Vergabesenat des OLG Naumburg hatte folgenden Fall zu entscheiden:

Der Auftraggeber ist ein von mehreren Kommunen getragener Zweckverband. Zu den Trägern des Zweckverbands zählt unter anderem die Stadt W., die zugleich alleinige Gesellschafterin des Auftragnehmers ist. Der Auftraggeber erteilte dem Auftragnehmer ohne öffentliche Ausschreibung einen Auftrag über kaufmännische Betriebsführung und rechtfertigte dies mit dem Vorliegen eines horizontalen Inhouse-Geschäfts gemäß § 108 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GWB.

Der Vergabesenat stellte fest, dass der Direktauftrag nicht als ausschreibungsfreies Inhouse-Geschäft privilegiert und daher unwirksam sei. Für ein horizontales Inhouse-Geschäft fehle es an einer ausreichenden Kontrolle der Stadt W. über die kontrahierenden Parteien. Eine solche Kontrolle der Stadt fehle jedenfalls hinsichtlich des Auftraggebers, da die Stadt W. diesen nicht allein, sondern nur gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern kontrolliere. Eine Inhouse-Vergabe könne auch nicht auf eine Kombination aus einem Inhouse-Geschäft gemäß § 108 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GWB (horizontale Vergabe) in Verbindung mit § 108 Abs. 4 GWB (gemeinsame Kontrolle des Auftragnehmers durch mehrere öffentliche Auftraggeber) gestützt werden, da das Gesetz eine derartige kumulative Anwendung unterschiedlicher Inhouse-Ausnahmen nicht gestatte. Schließlich führe eine Aufspaltung der Vergabe in mehrere Beschaffungsvorgänge (Auftraggeber an Stadt W. und Stadt W. an Auftragnehmer) zu keinem abweichenden Ergebnis, da eine solche Auftragsbeziehung „über Eck“ – also unter Einbeziehung der Stadt W. – im konkreten Fall nicht erfolgt und außerdem am Maßstab der Missbrauchskontrolle zu messen sei.

Nachfolgend werden die in diesen Entscheidungen getroffenen Aussagen im Hinblick auf ihre Allgemeingültigkeit bewertet:

Vertretung des Auftraggebers im beschlussfassenden Organ des Auftragnehmers auch bei mittelbarer Kontrolle erforderlich?

In seiner Entscheidung vom 22. Dezember 2022 (SLSP Sambre & Biesme) hebt der EuGH die eigenständige Bedeutung des Vertretungserfordernisses gemäß Art. 12 Abs. 3 UAbs. 2 Buchst. i) der Richtlinie 2014/24/EU (umgesetzt durch § 108 Abs. 5 Nr. 1 GWB) besonders hervor. Danach muss sich das Leitungsorgan des inhouse beauftragten Unternehmens aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen, wobei einzelne Vertreter mehrere oder alle teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber vertreten dürfen.

In diesem Zusammenhang führt der EuGH aus:

»

Im Unterschied zu Art. 12 I und II sieht diese Bestimmung […] nicht vor, dass die Voraussetzungen für die Kontrolle über die den Zuschlag erhaltende juristische Person durch den öffentlichen Auftraggeber mittelbar erfüllt werden können.“

«

Da die in Bezug genommenen unionsrechtlichen Regelungen im deutschen Recht umgesetzt worden sind, kann diese Aussage wie folgt „übersetzt“ werden: Anders als § 108 Abs. 1 bis 3 GWB, die die klassische, inverse und horizontale Inhouse-Vergabe regeln, sieht § 108 Abs. 4 GWB (Inhouse-Vergabe bei gemeinschaftlicher Kontrolle) nicht vor, dass die Voraussetzungen für die Kontrolle über den Auftragnehmer durch den öffentlichen Auftraggeber mittelbar erfüllt werden können.

Diese Aussage suggeriert, dass der Auftraggeber selbst dann in einem beschlussfassenden Organ des Auftragnehmers vertreten sein muss, wenn der Auftraggeber nicht direkt, sondern über eine zwischengeschaltete Einrichtung (sog. Kontrollvermittler) am Auftragnehmer beteiligt ist. Dies wäre in der Praxis äußerst problematisch. Denn in der Regel lässt sich der öffentliche Auftraggeber allein in den Gremien seiner Tochtergesellschaft (Kontrollvermittler) vertreten und die Tochtergesellschaft wiederum in den Gremien des Auftragnehmers. Ein Vertreter des Auftraggebers in einem Gremium des mittelbar kontrollierten Auftragnehmers sollte hingegen eher den Ausnahmefall darstellen.  

Aus den Ausführungen des EuGH lässt sich ein solches Erfordernis der direkten Vertretung des Auftraggebers im Leitungsorgan des gemeinsam mittelbar kontrollierten Auftragnehmers jedoch nicht, jedenfalls nicht zwingend, ableiten. Denn es ist nicht Sinn und Zweck des Vergaberechts, einen öffentlichen Auftraggeber daran zu hindern, seine Aufgaben mit eigenen Mitteln zu erledigen. Ein solcher Fall der Eigenerledigung liegt nach Auffassung des OLG Düsseldorf (Beschl. v. 30.01.2013, VII-Verg 56/12) und der VK Schleswig-Holstein (Beschl. v. 21.09.2020, VK-SH 13/20) nämlich bereits dann vor, wenn der Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern eine dienststellenähnliche Kontrolle auf den Kontrollvermittler ausübt und dieser wiederum den Auftragnehmer effektiv kontrolliert. Diese effektive Kontrolle lässt sich etwa dadurch erreichen, dass der Auftraggeber im Leitungsorgan des Kontrollvermittlers vertreten ist und dieser seinerseits einen Vertreter in das Leitungsorgan des Auftragnehmers entsendet. So wird das Vertretungserfordernis auf jeder Stufe der Beteiligungskette zwischen dem Auftraggeber bis hin zum Auftragnehmer sichergestellt. Dadurch wird der Anwendungsbereich des Inhouse-Privilegs ausreichend eingeengt.

Dass eine solche Kontroll- und Vertretungskette unzulässig sein soll, lässt sich den Ausführungen des EuGH nicht entnehmen. Da eine solche – satzungsmäßig abgesicherte – Kontroll- und Vertretungskette im vom EuGH entschiedenen Fall nicht vorlag, war deren Zulässigkeit folgerichtig auch nicht Gegenstand der Entscheidung.

Kumulative Anwendung mehrerer Inhouse-Ausnahmetatbestände generell unzulässig?

Der Beschluss des OLG Naumburg vom 3. Juni 2022 könnte wiederum zu dem Schluss verleiten, dass die einzelnen gesetzlich ausdrücklich geregelten Inhouse-Ausnahmetatbestände nicht miteinander kombinierbar sind.

So führt OLG Naumburg aus:

»

Der Senat folgt der Vergabekammer schließlich auch in der Bewertung, dass das nationale Recht in § 108 GWB in der vorliegend gegebenen Konstellation auch nicht in einer Kumulation der Tatbestände des Absatzes 3 Alt. 2 und des Absatzes 4 einen ausschreibungsfreien Vertragsschluss zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen gestattet.

«

Diese Aussage könnte dahingehend interpretiert werden, dass eine Inhouse-Beauftragung unzulässig wäre, wenn sie sich erst über die kumulative Anwendung von unterschiedlichen Inhouse-Vorschriften rechtfertigen lassen.

Dieses Verständnis ist indes nicht zwingend. Soweit das OLG Naumburg die kumulative Anwendung einer horizontalen Inhouse-Vergabe (§ 108 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GWB) und einer Inhouse-Vergabe im Wege der gemeinschaftlichen Kontrolle (§ 108 Abs. 4 GWB) für unzulässig erachtet, überzeugen die Argumente des Senats nicht. Das Gericht setzt sich zwar mit der Rechtslehre und der Gesetzesbegründung auseinander, lässt jedoch die eine kumulative Anwendung der Inhouse-Tatbestände befürwortende Rechtsprechung außer Acht (u.a. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 30.01.2013, VII-Verg 56/12, und VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 21.09.2020, VK-SH 13/20). Ferner würdigt der Vergabesenat nicht ausreichend, dass die kumulative Anwendung der Inhouse-Ausnahmen gerade dem Willen des Gesetzgebers entspricht, wie er in der Gesetzesbegründung zu § 108 Abs. 4 GWB zum Ausdruck kommt (vgl. BT-Drs. 18/6281, S. 81). Des Weiteren ist nicht ersichtlich, warum bei vertikalen Inhouse-Geschäften eine gemeinschaftliche Kontrolle gemäß § 108 Abs. 4 GWB möglich sein soll, bei einer sog. Schwester-Schwester-Vergabe gemäß § 108 Abs. 3 S. 1 Var. 2 GWB hingegen nicht.

Nach alledem verbietet sich, der Entscheidung des OLG Naumburg eine generelle Absage an die Kombination aus unterschiedlichen Inhouse-Tatbeständen zu entnehmen.

Verknüpfung mehrerer Inhouse-Vergaben „über Eck“ unzulässig?

Schließlich stellt sich die Frage, ob die Ausführungen des OLG Naumburg dahingehend zu interpretieren sind, dass die Verknüpfung mehrerer Inhouse-Vergaben „über Eck“ (z.B. der Auftraggeber beauftragt die ihn kontrollierende Muttergesellschaft und diese wiederum eins ihrer Tochterunternehmen) unzulässig ist.

Eine derart weitrechende Aussage findet in der Entscheidung des Vergabesenats keine Stütze. Im Gegenteil: Das OLG Naumburg lässt diese Frage mangels Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall offen. In diesem Kontext weist der Senat lediglich darauf hin, dass die Verknüpfung mehrerer Inhouse-Geschäfte unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls am Maßstab der Missbrauchsgefahr zu messen ist. Mit der Frage, wann bei der Berufung auf das Inhouse-Privileg ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, haben sich die VK Rheinland (Beschl. v. 20.02.2019, VK-52/2018) und VK Schleswig-Holstein (Beschl. v. 21.09.2020, VK-SH 13/20) bereits im Einzelnen auseinandergesetzt. So halten die Vergabekammern die Verkettung mehrerer Inhouse-Geschäfte für zulässig, wenn sämtliche Leistungsbeziehungen innerhalb des Inhouse-Konzerns verbleiben und der private Wettbewerb unberührt bleibt. An dieser Wertung ändert sich durch die Ausführungen des Vergabesenats des OLG Naumburg nichts.

Fazit

Die Entscheidungen des OLG Naumburg vom 3. Juni 2022 und des EuGH vom 22. Dezember 2022 lassen eine Tendenz in der Rechtsprechung erkennen, die Inhouse-Voraussetzungen restriktiver als bislang anzuwenden. Gleichwohl sollten sie nicht schematisch angewandt, sondern stets im Lichte der Besonderheiten des konkret zugrunde gelegten Sachverhalts gelesen und verstanden werden. Die für eine Inhouse-Vergabe erforderlichen Kontrollbeziehungen zwischen Auftraggeber und Auftraggeber sind vielgestaltig und erschöpfen sich nicht in den in Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU und § 108 GWB ausdrücklich genannten Konstellationen.

Dennoch ist nicht zu verkennen, dass diese beiden Entscheidungen Aussagen enthalten, die geeignet sind, die Zulässigkeit der in der Praxis bereits etablierten, „exotischeren“ Inhouse-Konstellationen in Frage zu stellen. Deswegen ist es äußerst wichtig, die Resonanz dieser beiden Entscheidungen in der europäischen und nationalen Rechtsprechung kritisch zu verfolgen.