Geflüchteter mit Smartphone
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Digitalisierung als Begleiter der Integration

Wie Jobkraftwerk, Integreat, "Welcome to NRW" und die "Ankommen App" den Alltag von Geflüchteten erleichtern können

Seit Sommer 2015 kamen circa 1.4 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland. Um deren Ankunft und langfristige Integration zu erleichtern, haben verschiedene Anbieter Anwendungen entwickelt. Diese unterstützen Geflüchtete und Staat im Dialog, schulen in Bürokratie sowie Sprache und geben weitere Hilfen für den Alltag.
Jobkraftwerk unterstützt das Integrationsmanagement in Kommunen.
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Mit Jobkraftwerk ins Arbeitsleben

Im Mai 2016 gründeten Benedikt Frings, Tom Lawson und Oliver Queck die Plattform „Jobkraftwerk“. Anstelle von stundenlangen Einzelgesprächen mit einem Dolmetscher kann der Geflüchtete seinen Lebenslauf und seine Kompetenzen über die Plattform selbst erstellen und verantwortlichen Trägern zugänglich machen. Der Lebenslauf wird von der eigenen Sprache ins Deutsche übersetzt und bietet zusätzliche Angaben zum Fluchtzeitraum und Aufenthaltsstatus. Aktuell bietet die Plattform dafür die Sprachen Englisch, Arabisch und Farsi an. Neben den sprachlichen Barrieren sei auch die Interviewsituation an sich ein Problem, so Oliver Queck, Mitgründer der Plattform. Dabei wäre es oft nicht möglich, relevante Kompetenzen oder Eigenheiten des Bildungssystems des Herkunftslandes zu erfassen. „Mithilfe von Jobkraftwerk kann der Geflüchtete sich selbst registrieren und hat, anders als nach einen Interview, etwas in der Hand.“

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Mithilfe von Jobkraftwerk kann der Geflüchtete sich selbst registrieren und hat, anders als nach einen Interview, etwas in der Hand.

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Die Daten werden Sozialarbeitern sowie regionalen Verbänden und Institutionen zur Verfügung gestellt und können von diesen in das Integrationsmanagement eingebunden werden.

Je nach Kommune kann der Leistungsumfang der Plattform ganz unterschiedlich ausgestaltet sein: von Job- oder sogar Wohnungsvermittlung, bis hin zu einer Datenbank für Unternehmen, in welche diese nach geeigneten Kandidaten suchen können. Mittlerweile habe sich die Plattform zu einem Integration-Case-Management-System entwickelt, so der Gründer.

Oliver Queck ist Mitgründer der Plattform "Jobkraftwerk".
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Mit Jobkraftwerk kann der Lebenslauf in der eigenen Muttersprache erstellt und ganz einfach an die verantwortlichen Träger übermittelt werden.
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15.000 registrierte Geflüchtete

Die Anwendung wurde im Landkreis Reutlingen erstmals getestet und wird mittlerweile in zahlreichen Kommunen in ganz Baden-Württemberg sowie in Hamburg, Berlin und Kiel verwendet. Allein im Landkreis Reutlingen konnte ein dort eingesetzter Job-Mentor durch die Plattform 200 Geflüchtete in Beschäftigung bringen. Insgesamt sind 15.000 Geflüchtete auf dem Portal registriert, davon 8.000 in Betreuung durch Sozialarbeiter. Um das Verfahren unter Geflüchteten bekannt zu machen, veranstaltet Jobkraftwerk gemeinsam mit den Kommunen sogenannte „Registration Days“, verteilt mehrsprachige Flyer an Unterkünfte, informiert über Sozialarbeiter und betreut in Einzelfällen sogar Facebook-Kampagnen.

Bisher ist Jobkraftwerk vor allem durch Referenten an Behörden in Baden-Württemberg herangetreten. Mit Kiel öffnete sich auch die Verwaltung in Schleswig-Holstein, wo Jobkraftwerk aktuell auch in einer weiteren Kommune implementiert wird. Schwierig sei hier die Heterogenität der Verwaltungen. Vom Land geförderte Stellen für Integration, die es in Baden-Württemberg gebe, sind in Schleswig-Holstein auf zahlreiche Verbände und Institutionen aufgeteilt. Auch der Unterschied zwischen Land und Stadt ist groß: „Während in der Stadt zahlreiche Player am Tisch sitzen, sagt der Landrat einer Kommune einfach ‚Wir machen das jetzt‘.“ Bisher ist Jobkraftwerk noch nicht über Ausschreibungen an Verwaltungen gelangt, das soll sich allerdings in Zukunft ändern, so Queck.

Integreat sorgt für mehr Informationstransparenz für Geflüchtete.
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Sechs Sprachen, lokal, offline verfügbar

Im April 2015 startete die Pilotphase der App „Integreat“ in der Stadt Augsburg. Die Applikation haben Studierende der Universität Augsburg und TU München ehrenamtlich in Kooperation mit dem Augsburger Verein „Tür an Tür“ entwickelt. Fördergelder kamen von der Bundesagentur für Arbeit, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem IQ Netzwerk Bayern und "migranet". Die App wird mittlerweile in 40 Kommunen in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Baden-Württemberg genutzt und aktuell in 15 weiteren implementiert. Um die App auch ohne Internetzugang nutzen zu können, ist sie auch offline verfügbar.

Daniel Kehne ist Projektkoordinator bei Integreat.
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Von Englisch bis Amharisch

Der Projektträger muss laut Koordinator Daniel Kehne keinerlei Vertrieb oder Werbung betreiben. Nach einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung und zwei weiteren Fachartikeln verbreite sich die Lösung zwischen den Kommunen wie von selbst.

Die Anwendung stellt Geflüchteten hilfreiche Informationen  zum Eintritt in den Arbeitsmarkt, Sprachlernförderung, Wohnraum und mögliche Partizipation zur Verfügung. Aktuell sind die Sprachen Englisch, Französisch, Arabisch, Farsi, Russisch und Amharisch möglich. 

Jede Kommune ist selbst für die Inhalte ihrer Integreat App verantwortlich.
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Mit Integreat eigene Angebote strukturieren

Das Besondere: Die App liefert Informationen mit regionalem Bezug und zeigt beispielsweise lokale Freizeitmöglichkeiten oder Begegnungsstätten auf. „Wir stellen die Technologie und Erfahrungen aus anderen Kommunen zur Verfügung, die Kommunen selbst übernehmen die Strukturierung und Inhaltspflege ihrer eigenen Integreat-App.“ Eine Art Franchising. Für das Backend selbst seien keine Schulungen von Nöten, jedoch bieten das Integreat-Team Einführungs-, Marketing- und Wirkungsmessungsworkshops an.
 

"Erwarten hauptamtliche Betreuung"

„Wir erwarten von den Kommunen eine hauptamtliche Betreuung der App, andernfalls arbeiten wir nicht mit ihnen zusammen.“ Nur so ließe sich sicherstellen, dass die Inhalte aktualisiert werden, so Kehne. Als problematisch erachtet der App-Koordinator einerseits die bürokratischen Prozesse sowie die Heterogenität der Verwaltung. Man könne sich auf die Konzepte anderer Kommunen stützen, diese seien aber nicht immer problemlos auf die eigene Verwaltung übertragbar. Das verlangsame die Verbreitung des Instruments. 

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Integreat hilft damit nicht nur den Nutzern der App, sondern vor allem auch der Kommune selbst, die Angebote zu ordnen und zu strukturieren.

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Die inhaltliche Verantwortlichkeit liegt zwar bei den Kommunen, jedoch empfiehlt Integreat die Hauptkategorien "Willkommen", "Arbeit & Bildung", "Sprache", "Alltag", "Gesundheit" und "Familie" „Das meistgeklickte Thema in Bochum ist tatsächlich "Mülltrennung". Informationen zum Thema Arbeit und Wohnen sind aktuell ebenfalls beliebt.“

Kehne sieht das Portal als einen zentralen Ort um Angebote, Programme und Prozesse der Kommune transparent darzustellen. „Integreat hilft damit nicht nur den Nutzern der App, sondern vor allem auch der Kommune selbst, die Angebote zu ordnen und zu strukturieren.“

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Ankommen mit staatlichen Anwendungen

Neben Projekten privater Entwickler hat auch die Verwaltung auf Länder- und Bundebene versucht, Anwendungen zu schaffen, um Geflüchteten die Ankunft und Integration zu erleichtern.

Welcome to NRW

Das Land Nordrhein-Westfalen hat mit „Welcome to NRW“ eine Informationsplattform für die Phasen „Ankommen“, „Im Asylverfahren“ und „Leben in Deutschland“ geschaffen. Hier werden Informationsblöcke in Arabisch, Englisch und Französisch für verschiedene Lebensbereiche in Frage-Antwort-Form zur Verfügung gestellt. Darunter befinden sich Kategorien wie Arbeit und Ausbildung, Familie, Rechtliche Ordnung, Verkehr, Sicherheit, Gesundheit und viele mehr, in denen einfach das deutsche System und die Kultur vermittelt werden sollen. Außerdem kann über die App auf Karteninformationen zugegriffen werden, welche Anlaufstellen wie Erstaufnahmeeinrichtungen, Frauenberatungsstellen, Hochschulansprechpartner für Geflüchtete oder Sprachschulen aufzeigt. Zusätzlich bietet die Anwendung ein Register für Notrufnummern; neben den klassischen 110 und 112 auch Kontakte zur Telefonseelsorge, dem Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ oder dem Kinder- und Jugendtelefon.

Neben Informationen zum Asylverfahren bietet die Welcome to NRW App hilfreiche Information für Leben und Alltag in Deutschland.
© Land NRW / Germany Says Welcome

Eine weitere Funktion der Welcome NRW App ist ein „Phrasebook“, in dem alltäglich benötigte Wortgruppen und Sätze zusammengefasst wurden. Wie die Integreat-App ist auch die Anwendung des Landes Nordrhein-Westfalen offline erreichbar.

Die Applikation wurde in Kooperation mit dem Jugend-Projekt „Germany Says Welcome“ und der Fachstelle für Jungendmedienkultur Köln entwickelt. Die technischen Aspekte hat „Germany Says Welcome“ zusammengetragen, eine Gruppe aus jungen Programmiererinnen und Programmierern im Alter von 15 bis 19 Jahren aus Deutschland und Israel. Die Qualität der Inhalte und die medienpädagogische Begleitung stellt die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW sicher.

Ankommen App

Die „Ankommen App“ wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der Bundesagentur für Arbeit, dem Goethe-Institut in Zusammenarbeit im dem Bayrischen Rundfunk entwickelt. „Ankommen" steht in den Sprachen Arabisch, Englisch, Farsi, Französisch und Deutsch zur Verfügung. In der App wurden die Erfahrungen verschiedener Migranten zusammengestellt, welche Ihre Geschichte und anfänglichen Probleme darstellen. Neben Informationen zum Asylverfahren und Arbeitsmarkt bietet auch die Ankommen App Alltagswissen sowie  kulturelle Hinweise bezüglich zwischenmenschlicher Beziehungen oder Umwelt. In die Applikation ist zudem ein Sprachkurs integriert.

Die App ist nicht mit behördlichen Prozessen verknüpft und gilt lediglich der Informationstransparenz und -aufbereitung für Geflüchtete

Neben hilfreichen Informationen für den Alltag ist in die Ankommen App ein Sprachkurs integriert.
© Bayerischer Rundfunk

Geht man davon aus, wie die App bewertet wurde, ist sie in der Vergangenheit nicht kontinuierlich weiterentwickelt worden. Die Rechtslage des Asylverfahrens sei auf dem Stand von 2015, auch die Sprachkurse würden nicht fortgeschrieben.

Insgesamt ist festzuhalten: Um Integration langfrisitig leisten zu können, müssen solcherlei Anwendungen nicht nur zur Verfügung stehen, sondern kontinuierlich entwickelt und an aktuelle Anforderungen angepasst werden. So können tatkräftige Integrationsmanager, Sozialarbeiter und Ehrenamtliche von technischer Seite in Zukunft hoffentlich noch besser unterstützt und entlastet werden.