Beihilfe-App des BVA; Bundesverwaltungsamt, Scrum
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Von der Poststelle zur App

Beihilfe-Digitalisierung durch Scrum: BVA macht Kopieren und Versenden von Belegen überflüssig / Eigene Mitarbeiter als Ideengeber, Probanden und Adressaten

Bisher kommen die Beihilfe-Belege tausender Beamter immer noch auf postalischem Wege ins Bundesverwaltungsamt. Die Dokumente werden nach Buchstaben sortiert und den „Beitragsfestsetzern“ zugewiesen. Der damit verbundene Zeitaufwand und die Fehlerquote durch schlechte Kopien könnten bald drastisch sinken. Eine „Beihilfe-App“ soll ab Herbst die tägliche Papierflut und viele Anrufe in der Behörde verringern.

„Für die Akzeptanz des neuen Verfahrens in unserem Haus ist es wichtig, dass die digitalen Anträge nicht zu Mehrarbeit führen, weder für die Antragsstellerinnen und Antragssteller noch für die betreffenden Beschäftigten des BVA.“ Anna Brierley ist Referatsleiterin „Beihilfe“ im Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln und verantwortet im Projekt Beihilfe.digital zudem das Veränderungsmanagement. Veränderungen finden im BVA seit vielen Jahren und im Grunde überall statt, denn die 5.500 Mitarbeiter zählende Behörde will auch im Bereich Beihilfe weiterhin ein moderner Dienstleister des Bundes bleiben.

Aktuell noch in der "Beta-Phase": Die Beihilfe-App des Bundesverwaltungsamtes.
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Beihilfe? Das BVA erstattet im Rahmen der staatlichen Fürsorgeleistung die krankheits-, geburts- oder pflegebedingte Aufwendungen. Beamte und Beamtinnen erhalten einen finanziellen Zuschuss für ihre Krankenversicherung, müssen diesen aber durch Rechnungen belegen, deren Kopien sie postalisch an die zuständige Stelle schicken.

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Viele sind diesen Service bereits durch ihre privaten Krankenkassen gewohnt.

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Viele sind diesen Service bereits durch ihre privaten Krankenkassen gewohnt.

App herunterladen, fotografieren, senden

Bislang gehen diese Briefe in den verschiedenen Poststellen des BVA ein und werden dem entsprechenden Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen zugewiesen. Nicht nur die Zahl dieser Zusendungen soll sich künftig verringern, sondern auch die Anzahl schlechter Kopien von Belegen, die kaum oder nicht zu lesen sind und weiteren Aufwand erfordern. „Wir wollen unseren Kunden die Möglichkeit geben, ihre Belege bequem online zu schicken“, erklärt Brierley. „Viele sind diesen Service bereits durch ihre privaten Krankenkassen gewohnt.“

Private Krankenkassen als Treiber

Zwar kann der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) selbst noch keine genauen Zahlen nennen, nichtsdestotrotz sind die Kassen ein Treiber in dieser Entwicklung. Ein Schnelltest im Netz ergab, dass nahezu alle der rund neun Millionen Versicherten mittlerweile die Möglichkeit eines digitalen Versands haben. Um daran anzuknüpfen, entwickelt ein Projektteam im BVA seit vergangenem Jahr eine eigene App. Nicht nur das ist neu im BVA, auch die Entwicklungsarbeit rund herum. Stichworte: "Agiles Projektmanagement" und „Scrum“.

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Sie müssen bei solchen Vorhaben schnell starten und kurze Umsetzungsziele festlegen, um flexibel zu bleiben und nachsteuern zu können.  

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Scrum – den Nebel langsam lichten  

 „Wir fliegen gewissermaßen auf Sicht“, erklärt Till Becker-Adam. Der Informatiker kam 2016 von der Deutschen Rentenversicherung „Knappschaft Bahn See“ zum Referat Projektmanagement und Software-Entwicklung und verantwortet seither die App-Entwicklung. „Sie müssen bei solchen Vorhaben schnell starten und kurze Umsetzungsziele festlegen, um flexibel zu bleiben und nachsteuern zu können.“ Im Vergleich zum klassischen Projektmanagement trifft sich Becker-Adam deshalb alle 14 Tage mit seinem Team. Treffen heißt in der Regel „Videokonferenz“, denn zwei Programmierer sitzen im spanischen Málaga, zwei in Budapest. Sie sind Mitarbeiter eines großen Beratungsunternehmens, mit dem ein Rahmenvertrag geschlossen wurde.

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Es findet eine viel intensivere Kommunikation als in herkömmlichen Software-entwicklungs-projekten statt.

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14-tägige Sprint Reviews

Auf der Agenda stehen dabei immer wieder die zwischenzeitlich erzielten Entwicklungsergebnisse (Sprint Reviews) sowie die folgenden Arbeitsschritte. „Es findet eine viel intensivere Kommunikation als in herkömmlichen Softwareentwicklungsprojekten statt“, erklärt der Projektleiter. Das liegt auch daran, dass die künftigen Nutzer und Nutzerinnen direkt mit am Tisch sitzen.

Vor allem schnell muss es gehen, im Scrum-Verfahren. Es gilt, alle zwei Wochen die Ergebnisse zu analysieren, um den Entwicklungsprozess ggf. neu zu justieren.
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An den Review-Meetings nehmen mindestens das Softwareentwicklungsteam, die Projektleitung und die dazu geladenen Stakeholder, also Interessenvertreter aus der Fachabteilung teil. Dabei kann die Zusammensetzung des Meetings je nach Bedarf und Entwicklungsphase angepasst werden.

Till Becker-Adam kam vor zwei Jahren von der Deutschen Rentenversicherung „Knappschaft Bahn See“ zum BVA und verantwortet seither die App-Entwicklung.
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„Wir haben unsere eigenen Kollegen und Kolleginnen mit ins Boot geholt, um an einer möglichst guten Entwicklung der App proaktiv mitzuwirken.“ Die letzte Umfrage ergab laut BVA, dass rund 90 Prozent der Teilnehmer die App mindestens mit gut bewerteten. Aktuell befindet sich die Entwicklung noch in der Pilot-Phase, in der die „Pilotteilnehmer“ weiterhin mit ihren Feedbacks wesentlich dazu beitragen.

Fachbereich mit in die Meetings holen

„Präventive Fehlerkultur“ – das ist recht neu in der öffentlichen Verwaltung: Die Belange und das Wissen der Festsetzerinnen und Festsetzer fließen unmittelbar in die Lösungssuche und die Arbeit der Entwickler mit ein. So fallen Mängel zeitnah auf und können schnell behoben werden.  Das führt laut Becker-Adam zu einer höheren Softwarequalität. „Ziel war es auch, ein breites Spektrum unterschiedlicher Geräte abzudecken.“ Obwohl es auf dem Smartphone-Markt im Grunde nur zwei marktbeherrschende Systeme – iOS und Android – gibt, ist die Landschaft aufgrund der vielen verschiedenen Versionen zersplittert. Die Entwickler müssen das auf dem Schirm haben, damit die App auf breiter Basis akzeptiert und genutzt wird und somit zu einer Entlastung im BVA führt.

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Wir haben unsere eigenen Kollegen und Kolleginnen mit ins Boot geholt, um an einer möglichst guten Entwicklung der App proaktiv mitzuwirken.

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5.000 Anrufe zu Spitzenzeiten – Entlastung notwendig  

Täglich gehen 300 bis 500 Anrufe von Antragstellern in den Beihilfe-Referaten ein, erklärt Brierley. „Die meisten wollen wissen, ob ihr Anträge mit den Belegen angekommen sind.“ Ein zeitraubender Umstand, der zu Hochzeiten auf bis zu 5.000 Anrufe täglich anschwellen kann. „Uns geht es darum, von diesen Spitzen entlastet zu werden.“ 

Häkchen setzen für Kontakt per E-Mail

Die Beta-Version der App beinhaltet deshalb eine Funktion, die die erfolgreiche Übermittlung der Daten anzeigt. Das spart Anrufe. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass die Nutzer automatisch gefragt werden, ob die künftige Kommunikation per E-Mail erfolgen darf. Das vermeidet postalische Wege und nimmt weniger Zeit in Anspruch. Perspektivisch seien auch Formate geplant, um sich direkt über die App austauschen zu können. Das würde noch mehr Anrufe erübrigen, erklärt Becker-Adam. „Medizinische Inhalte sind hiervon ausdrücklich ausgeklammert.“ Dem Datenschutz muss und wird gerade in diesen Zeiten ausreichend Rechnung getragen werden. Effizienz, Usability, Rechtskonformität und Sicherheit – die App hat bis zum Live-Betrieb im Herbst vielen Zielen zu genügen. 

Spezielles Kamera-Tool rückt Belege zurecht

Um Belege zu versenden, registrieren sich die Nutzer in Zukunft einmalig mit ihrer E-Mail-Adresse, Passwort und Personalnummer. Die Daten bleiben getreu dem „Once-Only-Prinzip“ jedes Mal erhalten – das erleichtert den Eingabeaufwand erheblich. Zusammen mit der App installiert sich ein spezielles Kamera-Tool, das Dokumente besser erkennen, bei Bedarf automatisch skalieren oder zurecht schneiden kann. „Sie knipsen die Belege dann einfach ab.“ Die Fotos gelangen in eine Fotogalerie, in der alle Belege aufgeführt sind. „Mit einem weiteren Klick können die neuen Belege samt Antrag direkt ans BVA gesendet werden.“ Alles kein Hexenwerk – ein Video beschreibt den Vorgang in gut einer Minute.


Die Daten bleiben getreu dem „Once-Only-Prinzip“ jedes Mal erhalten – das erleichtert den Eingabeaufwand erheblich.


Bei sensiblen Daten – QR-Code noch per Post

„Wenn es um Änderung von sensiblen Daten – z.B. Konto- oder Adressdaten – geht werden wir in Zukunft eine besonders sichere Authentifizierung anbieten“, erklärt Becker-Adam. Das könnte beispielweise umgesetzt werden, indem die App-Nutzer einen QR-Code per Post erhalten, der dann mit Hilfe der App eingescannt werden kann.

Bei sensiblen Daten rundum die Gesundheit bleibt aus Sicherheitsgründen ein Medienbruch: App-Nutzer müssen einmalig einen postalisch erhaltenen QR-Code einscannen, um sich zu identifizieren.
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Entschlüsselung erst in sicherer Umgebung

 „Wir haben großen Aufwand betrieben, um die Daten der Kunden sicher ins BVA zu transportieren.“ Neben der im Web üblichen Transportwegverschlüsselung per TLS, überträgt die Beihilfe-App die Daten unserer Kunden Ende-Zu-Ende-verschlüsselt ins BVA. Das heißt: Eine Entschlüsselung findet erst in den sicheren, internen Systemen des BVA statt. „Außerdem ist ein Abruf der Daten grundsätzlich nicht möglich, sodass – selbst im Falle eines Account-Diebstahls – keine kritischen Daten in die Hände eines Angreifers gelangen können.“

Im Vergleich zu früher scheuten sich Kollegen nicht mehr, über ihre Projekte zu sprechen, erklärt Sinan Büyrü, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im BVA.

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Mehr Aufgaben – und demografischer Wandel

„Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst (nicht nur) des Bundes werden im Durchschnitt älter und gehen in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren in größerer Zahl in den Ruhestand“, erklärt Sinan Büyrü, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit. Mit der Beihilfe-App sei es deshalb genauso wie mit den allen anderen Digitalisierungsprojekten im BVA. Es geht nicht darum, Stellen durch Technik zu ersetzen, sondern den Herausforderungen des demografischen Wandels und Fachkräftemangels zu begegnen. Zudem steigt der Anspruch der Kunden an die Leistungserbringung. In den vergangenen Jahren umso mehr – die Aufgabenfülle nimmt zu.

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Das Produkt beflügelt, intern wie extern!

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Effizientere Arbeitsprozesse notwendig

Mit rund 5.500 Beschäftigten übernimmt das BVA mehr als 150 Fachaufgaben und ist somit der größte Dienstleister des Bundes. Das BVA sorgt dafür, dass ein Großteil der Bundesregierung „im Backend“ arbeitsfähig ist und betreut rund 90 Prozent der Beihilfe-Verfahren auf Bundesebene. Von München bis Rostock, von Bonn bis Chemnitz sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in 17 verschiedenen Referaten allein für den Bereich Beihilfe zuständig. „Da müssen wir schauen, wie wir zukünftig die Aufgaben mit technischer und digitaler Unterstützung noch besser organisieren“, erklärt Büyrü. Dabei werden eben auch effizientere Arbeitsprozesse helfen, die mit Einführung der App einhergehen. 


Es geht nicht darum, Stellen durch Technik zu ersetzen, sondern den Herausforderungen des demografischen Wandels und Fachkräftemangels zu begegnen.


Aufbruchsstimmung

Darüber hinaus kann auch eine positive Grundstimmung in der Organisation helfen. Büyrü spricht mit Blick auf die App von „Aufbruchsstimmung“. Aus seiner Sicht führen eigens entwickelte Projekte und Instrumente dazu, dass die Mitarbeiter stolz auf ihre Leistungen und die eigene Einrichtung sind als früher. Kollegen scheuten sich nicht mehr, darüber zu sprechen. „Das Produkt beflügelt, intern wie extern!“.