Erneuerbare Energie Nachhaltigkeit
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So setzen Kommunen die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung um

Wie Kommunen in Deutschland ihre Nachhaltigkeitsstrategien verwirklichen wollen

Im Auftrag des Umweltbundesamtes wurde ein Maßnahmenkatalog für Kommunen erstellt, in dem Möglichkeiten und Pflichten zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele erklärt sind. Einige Kommunen sind längst dabei.

Die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“  wurde im September 2015 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Die Umsetzung der  17 Sustainable Development Goals  (SDGs)  und ihrer  169 Unterziele obliegt den Kommunen. 81 Kommunen haben die „Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung: Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene gestalten“ unterschrieben und sich damit zu Maßnahmen entsprechend der Ziele des Vertrages verpflichtet. „People, Planet, Prosperity, Peace und  Partnership“ sind die großen Themenbereiche der Agenda, welche  17 SDG (Sustainable Development Goals) vorgibt.

Die Ziele der Agenda 2030

  • Armut beenden
  • Hunger beenden
  • Gesundes Leben für alle
  • Bildung für alle
  • Geschlechtergleichheit
  • Wasser- und Sanitärversorgung
  • Bezahlbare, saubere Energie
  • Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
  • Industrie, Innovation, Infrastruktur
  • Weniger Ungleichheiten
  • Nachhaltige Städte und Gemeinden
  • Nachhaltiger Konsum und Produktion
  • Klimaschutz
  • Leben unter Waser
  • Leben am Land
  • Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
  • Partnerschaften
81 Kommunen in Deutschland haben die "Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung: Nachhaltigkeit auf kommunaler Ebene gestalten" unterschrieben.
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„Aus kommunaler Perspektive sind vor allem folgende Ziele relevant: Städte und Siedlungen sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen; Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und zeitgemäßer Energie für alle sichern; eine belastbare Infrastruktur-aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen; Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen“, kommentiert der Deutsche Städtetag.

Im Auftrag des Umweltbundesamtes haben Annika Burger, Peter Ulrich, Stefan Kuhn von ICLEI Europa einen Maßnahmenkatalog für Kommunen geschaffen, welche deren Möglichkeiten und Pflichten im Rahmen der Nachhaltigkeitsziele zusammenfasst.

Keine Armut
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Armut beenden durch bessere Städteplanung

Kommunen müssen konkret auf die Bedürfnisse sozial Schwacher eingehen und die gezielt unterstützen. Beim Städtebau und in der Stadtplanung sind soziale Bedarfe zu erkennen und zu berücksichtigen.

In allen Bereichen der Kommunen sind sozial gerechte Geschäftsethiken zu fördern und Notfallpläne zum Bekämpfen der Armut zu manifestieren.

Hochwertige Bildung
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Bildungsangebote der lokalen Wirtschaft anpassen

Um alle Bürger gleichberechtigt mit Bildung zu versorgen, gilt es für die Kommunen inklusive, verantwortungsvolle und hochwertige öffentliche Bildungskonzepte zu entwickeln, die benachteiligten und sozial schwachen Bevölkerungsgruppen Zugang ermöglichen.  

Die Weiterbildungsmöglichkeiten sollten entsprechend der lokalen Wirtschaft ausgerichtet und Programme zur Vernetzung zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Schulen etabliert werden.

Geschlechtergleichheit
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Geschlechtergleichheit in Sprache und Karriere

In der internen und externen Kommunikation der Kommunen  sind Ungleichheiten und Diskriminierung zu identifizieren und entsprechend abzubauen. Frauenorganisation sollten in die Kommunalpolitik einbezogen werden. Arbeitsplätze oder sonstige Stakeholder-Beziehungen sind  im repräsentativen Maße mit Frauen zu besetzen. 

Die Kommunen können durch eine ausgeprägte Versorgung durch Kindertagesstätten und sonstige Betreuungsangebote die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und somit die Rolle der Frau stärken.

SDG-Indikatoren für Kommunen

Die Kommunen müssen die SDGs in den Blick auf deren Relevanz und Beeinflussbarkeit in der konkreten Situation vor Ort zu prüfen.

Die Arbeitsgruppe „SDG-Indikatoren für Kommunen“, bestehend aus Vertretern der Bertelsmann Stiftung, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Deutscher Landkreistag, Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund, Deutsches Institut für Urbanistik sowie Engagement Global mit ihrer Servicestelle „Kommunen in der Einen Welt“, haben Indikatoren zur Abbildung der Nachhaltigkeitsziele geschaffen.

In einem Indikatorenkatalog  hat die Arbeitsgruppe den Zwischenstand der kommunalen Arbeit dokumentiert und  für alle SDGs eine Zielgröße von ca. drei (Kern-) Indikatoren festgelegt. Jede Kommune kann und soll auf Basis der jeweiligen Rahmenbedingungen und Schwerpunktsetzungen vor Ort entscheiden, welche Kernindikatoren sie umsetzt.

Auf Wegweiser Kommunen finden sich Daten und Handlungsempfehlungen für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen in Kommunen.
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Portal Wegweiser-Kommune

Für einen Großteil der im Katalog festgehaltenen SDG-Indikatoren liegen auf Kreisebene und teilweise auch Gemeindeebene Daten vor. Diese können auf dem Portal „Wegweiser Kommune“ eingesehen werden.

Für Städte und Gemeinden über 5.000 Einwohner sowie die Landkreise finden sich auf der Plattform auch allgemeine Handlungsempfehlungen, praktische Beispiele und Berichte zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie im kommunalen Bereich. Beispielsweise konnten  neun Demographie-Typen von Kommunen inklusive Handlungsvorschlägen herausgestellt werden.

Erster Null-Kommissionsstadtteil in Heidelberg

Im Rahmen der Stadtentwicklung setzt Heidelberg mit der „Bahnstadt“ den weltweit ersten Null-Emissionsstadtteil auf der Brachfläche des ehemaligen Güterbahnhofs um. Die größte Passivhaussiedlung Europas wird ausschließlich mit Strom und Wärme  aus erneuerbaren Energien versorgt. Hier soll Wohn- und Arbeitsraum für circa 12.000 Menschen entstehen. Das Projekt ist 2008 gestartet und soll voraussichtlich 2022 finalisiert werden. Für die vollständige Umsetzung hat die Stadt Heidelberg zwei Milliarden Euro Budget eingeplant.

Größer als die Heidelberger Altstadt: mit 116 Hektar Fläche übertrifft die Fläche der Bahnstadt das historische Viertel Heidelbergs.
© Stadt Heidelberg

Grüner Wissenschaftsstandort auf 116 Hektar Fläche

Mit 116 Hektar Fläche ist der neu geschaffene Stadtteil größer als die Heidelberger Altstadt und damit einer der größten Stadtentwicklungsprojekte in ganz Deutschland. Der treuhänderische Entwicklungsträger des Projekts ist die  Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH & Co. KG (DSK).  Federführendend in der Planung ist die Latz + Partner Landschaftsarchitektur Stadtplanung Architektur Partnerschaft mbB  aus Kranzberg.

Der Standort bietet ökologisch durchdachte Immobilien, die eine hohe Lebensqualität für alle Generationen und Lebenssituationen ermöglichen. Kindertagesstätten, eine Grundschule, kulturelle Einrichtungen und Geschäfte sorgen für kurze Wege im Alltag. Außerdem ist die Bahnstadt ein Standort für Wissenschaft sowie attraktiv für die Ansiedlung von Handels- und Dienstleistungsunternehmen. Trotz Forschungs- und Gewerbeeinrichtungen ist die Bahnstadt durch das großzügige Freiflächenkonzept  und reichlich Grünflächen ein grüner Stadtteil mit hohem Freizeitwert für seine Bewohner. 

Demografische Verjüngung und hoher Lebensstandard

Im Jahr 2017 lebten bereits 3.800 Menschen im neu geschaffenen Stadtteil, 37 Prozent der Bewohner sind zwischen 18 und 30 Jahre, jeder zehnte Bewohner unter 10 Jahre alt. Alle 5 Tage wird ein neuer Bahnstädter geboren. 25 Prozent der Bahnstädter haben einen Migrationshintergrund. Jeder achte Haushalt erhält eine Wohngeldförderung. Neben einer ausgeprägten Vernetzung durch neu geschaffene Straßenbahnlinien, bietet die Bahnstadt 3,5 km Radweg und setzt das Fahrrad als Leitverkehrsmittel fest.

Damit hat die Stadt Heidelberg einen jungen, multi-kulturellen, grünen und wirtschaftlichen Wissenschaftsstandort geschaffen, welcher seinen Bewohner einen hochwertigen und nachhaltigen Lebensstandard sichert.

Ein Kunstwerk entstanden an der Biosphären-VHS St. Ingbert.
© Biosphären-VHS

Mobilität, Upcycling und Fair Trade im Saarland

Das saarländische St. Ingbert bringt eine einzigartige Stadt-Land-Beziehung mit sich.  Mit ihrem Mobilitätskonzept „INGO“ werden Busverbindungen mindestens alle 30 Minuten in den Vororten garantiert. Jeder Bürger hat Zugang zu einer Bushaltestelle, die höchstens 200 m von der eigenen Wohnung  entfernt ist. Auch ländlichere Gebiete sind so mit der Urbanen verknüpft und den Bürgern aller Generationen zur Mobilität verhilft.

Die Stadt beherbergt eine Kunstschule für Nachhaltigkeit. In Kooperation mit dem kreativen Recyclingzentrum der Gesellschaft für Beschäftigung und berufliche Qualifizierung wurde das Projekt „Biosphären-Art“ ins Leben gerufen, bei dem in einem kreativen Upcycling-Prozess ansprechende Kunst- und Dekorationsobjekte u.a. aus überschüssigen Konsumgütern oder Industrieabfällen geschaffen werden. Jedem Erstklässler wird vom Bürgermeister eine "faire" Schultüte überreicht und  so im frühen  Alter für bewussten Konsum sensibilisiert.

Energieeffizienz in Eltville am Rhein

Eltville am Rhein ist die dritte hessische Kommune die sich dem deutschlandweiten Netzwerk „Global nachhaltige Kommune“ angeschlossen hat. Durch das Förderprogramm des Landes Hessen zur Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf energieeffiziente LED-Technik konnte Eltville bis 2018 rund 1.600 Leuchten modernisieren und damit eine Stromersparnis von bis zu 80 Prozent im Bereich der Straßenbeleuchtung erzielen. Im Energiestützpunkt Eltville werden regelmäßig Energieberatungen für Unternehmen und interessierte Bürger angeboten.

Eltville am Rhein wurde vom Deutschen Nachhaltigkeitspreis unter die Top 3 Deutschlands nachhaltigster Kleinstädte 2019 gewählt.
© Eltville am Rhein

Generationen- und kulturenübergreifende Sozialarbeit

Mit dem „Forum Rheingau“ ist eine Initiative gestartet, um Aussiedlungen auf das Gelände der Weinberge zu vermeiden. Die Kommune hat am  Rheinufer mehr Platz für den Fuß- und Radverkehr  und somit die Grundlage für eine verkehrsberuhigte Innenstadt geschaffen.

Die Stadt agiert über ein „EhrenamtsBüro“ als Ehrenamtskoordinator und räumt umfassenden Bildungs-, Betreuungs- und Beratungsangebote für alle Alters- und Zielgruppen ein.

Mehrgenerationenhäuser und der Jugendtreff, aber auch digitale Angebote wie das „Soziale Familien-Netzwerk Rheingau“ bieten generationenübergreifende Anlaufstellen. Mit dem „Jugendpark der Kulturen“ leistet die Stadt nachhaltige Integrationsarbeit. Jugendliche  mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund arbeiten an der Neugestaltung des Zwingers der Kurfürstlichen Burg und lernen dabei praxisnah ein demokratisches, sozial verantwortungsvolles Miteinander.

Jede Kommune muss ihren eigenen Weg finden, nachhaltiger zu werden.  Über neue Projekte, Praxisberichte und Entwicklungen in der Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung auf Kommunalebene informiert die zum Beispiel die Bertelsmann-Stiftung im Monitor nachhaltige Kommune.