Bauplan für die Digitalisierung; Ostalbkreis; E-Akte; Dienstleistungszentrum; Aalen; Digitalisierung; Verwaltung
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Mitarbeitern und Digitalisierung baulich Rechnung tragen

Ostalbkreis: „Vollautomatisiertes“ Jobcenter / E-Akte-Rollout in neuem Dienstleistungszentrum / Personal schulen und an Entscheidungen teilhaben lassen

In Schwaben, sagt Martin Brandt, da fängt man nicht beim Dach an, ein Haus zu bauen, sondern mit einem vernünftigen Fundament. Und genauso besonnen wirkt das Vorgehen des Ostalbkreises, in dem er gemeinsam mit seiner Kollegin Angela Brunnhuber im neuen Geschäftsbereich „Digitalisierung, Datenschutz und Zentrale Vergabestelle“ die Entwicklung der digitalen Verwaltung insgesamt verantwortet. Der Kreis hat bis 2022 Großes vor und bereits viele Grundlagen dafür geschaffen.
Fragen stellen, ohne Hemmungen: Im Ostalbkreis sollen die Mitarbeiter behutsam an die künfigen Veränderungen herangeführt werden.
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Brunnhuber und Brandt sind beide „Überzeugungstäter“ des digitalen Wandels in allen Bereichen der Verwaltung; gemeinsam mit der Kollegenschaft ihres Bereichs haben sie kürzlich allen 1.900 Mitarbeitern der Kreisverwaltung gezeigt, was sich rund um die Ämter und Arbeitsplätze virtualisieren wird. Wahnsinnig viel! Digitale und bauliche Strukturen sollen dabei Hand-in-Hand gehen.

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Unsere Hausmesse zur Digitalisierung haben wir bewusst erst mal komplett intern veranstaltet, um möglichst offen miteinander reden zu können.

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Eigene Hausmesse zur Digitalisierung

„Unsere Hausmesse zur Digitalisierung haben wir bewusst erst mal komplett intern veranstaltet, um möglichst offen miteinander reden zu können“, erklärt Angela Brunnhuber, die als Digitalisierungsbeauftragte des Ostalbkreises genauso wie Brandt mehrere Workshops leitete.

Hausmesse mit vier Schwerpunkten

  • Arbeitsplatz der Zukunft

  • Moderne Kommune

  • Digitale Verwaltung für den Bürger 

  • Digitale Prozesse im Personalwesen

Die Verwaltungswirtin weiß um die Sensibilität, mit der vorzugehen ist. Weder IT-Dienstleister noch Berater hatten Zugang. Ziel der Veranstaltung: neue Produkte und Prozesse möglichst anschaulich zeigen. Keinen Druck aufbauen, sondern zum Mitmachen anregen. Und sie ergänzt: „Wir dürfen unsere Leute nicht überfordern.“ Um die Mitarbeitenden an der Entwicklung teilhaben zu lassen und den Prozess zugleich durch ihre Know-how zu bereichern, können Vorschläge eingereicht werden. „Wir evaluieren die Veranstaltung und fragen dabei, auf welche Ideen unsere Kollegen in der Zwischenzeit womöglich gekommen sind“, so Brunnhuber. Es geht etwa darum, wie das Postwesen bestmöglich virtualisiert werden kann.

Martin Brandt ist Geschäftsbereichsleiter "Digitalisierung, Datenschutz, Zentrale Vergabestelle" im Ostalbkreis.
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Die Mitarbeiter experimentieren lassen

Dass gute Ideen nicht immer „von oben“ kommen müssen, wissen Brandt und Brunnhuber aus eigener Erfahrung. Gutes Personal ist gefragt: Probleme und Chancen könnten oft am besten aus der Praxis heraus identifiziert werden. „Eine vernünftige Digitalisierung braucht viel Mut und Überzeugungskraft von der Arbeitsebene.“ Dafür müssen Führungskräfte ihren Mitarbeitern Raum geben, um auch mal etwas Neues zu versuchen oder ein bisschen „experimentieren“ zu können, wie Verwaltungswissenschaftler Brandt sagt. „Man muss die Leute machen lassen, Ausprobieren ist ganz wichtig.“ Rückschläge gelte es nicht nur hinzunehmen, sie müssten genauso eingeplant werden. „Nur so, durch „Trial-and-Error“, kommen wir ja schnell zu Erfolgen, mit denen wir dann Bürgern und Unternehmen einen Mehrwert bieten können.“ Ein bisschen verhielt es sich auch bei der Einführung der E-Akte.

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Eine vernünftige Digitalisierung braucht viel Mut und Überzeugungskraft von der Arbeitsebene.

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Einführung der E-Akte anstatt neuer Keller

Als Angela Brunnhuber vor rund sechs Jahren als Digitalisierungsbeauftragte startete, stand der Kreis vor einer weitreichenden Entscheidung: Das Jobcenter (Optionskommune) in Schwäbisch Gmünd brauchte einen neuen Keller, um Akten archivieren zu können. Allerdings gaben die Bodenverhältnisse das nicht her: In der Gegend herrscht große Hochwassergefahr. Im Frühling 2016 kamen zwei Menschen bei Überflutungen der Rems ums Leben – und das Jobcenter liegt unmittelbar am Fluss.      

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Unser Jobcenter war dann eine Art Initialzündung.

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Innovationsfreude, Spar- und Achtsamkeit können sich ergänzen

 „Es wäre mit sehr hohen Versicherungskosten und einer großen Wahrscheinlichkeit zu rechnen gewesen, dass die Räume bis unter die Decken überfluten.“ Nun stehen nicht nur Sparsamkeits- und Achtsamkeitsgebot weit oben im Südwesten der Bundesrepublik. Brandt und Brunnhuber sahen auch Gelegenheit dafür, die ebenso verbreitete Innovationsfreude im „Ländle“ von öffentlicher Seite zu „untermauern“ – in diesem Fall elektronisch. „Die E-Akte bzw. das Dokumentenmanagementsystem (DMS) versprachen uns eine schnelle und platzsparende Lösung“, erklärt Fachbereichsleiter Brandt.

Vollautomatisiertes Jobcenter lockt Besucher anderer Kommunen

„Unser Jobcenter war dann eine Art Initialzündung“, erinnert sich Brunnhuber. Noch 2014 habe man in ganz Baden-Württemberg nach einem passenden DMS gesucht, in der öffentlichen Verwaltung aber rein gar nichts gefunden. Mittlerweile sei das ganz anders. Die Digitalisierungsstrategie der Landesregierung habe viele Akteure auf den Plan gerufen. Im Gmünder Jobcenter, das heute „vollautomatisiert“ ist, finden regelmäßig Touren statt. Vertreter anderer Kommunen schauen sich exemplarisch an, wie Post und Dokumente nicht mehr hin- und hergefahren werden müssen, sondern über das DMS virtuell „laufen gelernt“ haben.

Das ist aber alles erst der Anfang. Das eigentliche Großprojekt steht im Ostalbkreis erst noch bevor: Der Neubau des zweiten großen Standorts des Landratsamtes und die konsequente Neuausrichtung der Arbeitswelt inklusive aller Prozesse.

Unten: die alten Fabrikgebäude und -anlagen, oben: eine Skizze des konzipierten neuen Dienstleistungszentrum in Aalen.
© Screenshot/Union Dokumentation Ostalbkreis

Alte Fabrik wird zum neuen DLZ

In der Kreisstadt Aalen entsteht auf dem Gelände der früheren Schuhcreme- und Bohnerwachsfabrik „Union“ ein modernes Dienstleistungszentrum (DLZ). Das Areal des neuen Standortes liegt in unmittelbarer Nähe zum bestehenden Landratsamt. Es soll damit beste Voraussetzungen für eine Zusammenführung der bislang im Aalener Stadtgebiet verteilten Geschäftsbereiche bieten. Das bisher stillgelegte Gelände wird aktuell in enger Abstimmung mit der Stadt entwickelt und für die Bürger wieder „erlebbar“ gemacht. 

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Erst einmal haben die Geschäftsbereichsleiter bei ihren Mitarbeitern gefragt, ob sie weiterhin eine klassische Aufteilung der Räumlichkeiten wollen.

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Anders und neu erlebbar

Neu „erlebbar“ sollen auch die künftigen Räumlichkeiten und die Begegnungen zwischen Mitarbeitern der Kreisverwaltung und Bürgern werden. Modulare Bürostrukturen sollen sowohl für Transparenz als auch für Sicherheit sorgen. Der Kreis will auf dem traditionsreichen Gelände nicht nur architektonisch Standards setzen, sondern die Verwaltung konzentrieren und „durchdigitalisieren“. Das Gebäude soll auf der Grundlage eines „Front-/Back-Office-Systems“ funktionieren und vollständig auf elektronisches Arbeiten ausgerichtet sein. Geplant sind ein Scan-System für die Eingangspost und ein vollständig elektronischer Postausgang. All dem liegt eine fundierte Ist-Analyse zugrunde.

Das Zusammenspiel macht´s: Individuelle Büros sollen sich mit offeneren Räumen abwechseln.
© Screenshot/Union Dokumentation Ostalbkreis

Individuelle Büros, anpassbare Empfangs- und Wartebereiche

Welche Geschäftsbereiche sind möglichst zusammen zu bringen? Wie viele Mitarbeiter brauchen wir vor Ort? Solche und andere Fragen wurden in internen Gruppen von bis zu 20 Teilnehmern diskutiert, erklärt Brandt, der seitens der Landkreisverwaltung des Ostalbkreises für das Raum- und Funktionsprogramm verantwortlich war. „Erst einmal haben die Geschäftsbereichsleiter bei ihren Mitarbeitern gefragt, ob sie weiterhin eine klassische Aufteilung der Räumlichkeiten wollen.“ Bislang werden Bürger im Ostalbkreis zumeist in den eigenen Büros empfangen. Im Ergebnis wollte die eine Hälfte lieber klassische Büroräume beibehalten, die andere sprach sich für „Multi-Spaces“ aus. Die Ausführungsplanung für das neue Gebäude sieht deshalb eine Mischung beider Richtungen vor: Individuelle Büros werden durch eine Landschaft offener und anpassbarer Empfangs- und Wartebereiche ergänzt. Auch sicherheitstechnische und datenschutzrechtliche Belange wurden dabei berücksichtigt.

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Archive und größere Ablagen sind nicht geplant. Das bedeutet, dass wir die elektronische Antragstellung im Vorfeld flächendeckend über das Internet einführen möchten.

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Einkalkuliert: Tele-Arbeit und demografischer Wandel

„Die Raumplanung erfolgte nicht nach Personen, sondern nach Arbeitsplätzen“, erklärt Brandt. Addiert man die Bürofläche pro Schreibtisch mit den anteiligen Flächen für Flure, Besprechungs- und Mehrzweckräume, erhält jeder Nutzer ca. 18,75 Quadratmeter. In den vergangenen Jahren hat sich die Mitarbeiterzahl langsam aber stetig erhöht. „Wir haben diese Entwicklung unserer Rechnung zugrunde gelegt, mit eingeflossen sind auch die zu erwartende Tele-Arbeit und ein demografischer Faktor.“ Ein Puffer sichert die gesamte Kalkulation ab.

Möglichst ohne Aktenordnerübergabe: Schon der Umzug in das neue Dienstleistungszentrum des Ostalbkreises soll möglichst "papierfrei" über die Bühne gehen.
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Ein Umzug möglichst ohne Papier

Räume, Stühle, Tische, Bildschirme – was braucht es noch? Im Grunde nicht viel, sagt Brandt. „Was sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickelt, müssen wir einfach auf uns zukommen lassen.“ Eines ist aber klar: Damit sich alles rechnet, müssen die neuen Räumlichkeiten 2022 „mindestens papierarm“ bezogen werden. Noch besser wäre natürlich ein Umzug ganz ohne physische Dokumente. „Archive und größere Ablagen sind nicht geplant“, betont Brandt. „Und das alles bedeutet, dass wir die elektronische Antragstellung im Vorfeld flächendeckend über das Internet einführen möchten.“

Masterplan zur Einführung der E-Akte

Intern hat der Kreis lange darauf hingearbeitet. Seit 2015 gibt es den „Masterplan zur Einführung der E-Akte bis 2020“ sowie eine passende Dienstvereinbarung. Das Ganze wird flankiert von einer Projektgruppe „Papierloses Büro“. Die meisten Ämter arbeiten bereits mit E-Akten – von insgesamt 1.800 Arbeitsplätzen müssen 2019/2020 nur noch etwa 600 auf das DMS umgestellt werden.

Die meisten Ämter im Ostalbkreis arbeiten bereits mit E-Akten – von insgesamt 1.800 Arbeitsplätzen müssen 2019/2020 noch etwa 600 auf das DMS umgestellt werden.

Die Umstellung und ein gelungener Umzug stehen und fallen aber nicht nur mit dieser „Binnendigitalisierung“. Damit der Bürger am Ende nicht doch wieder in die Verwaltung laufen muss, sind Formulare und Verwaltungsprozesse von zu Hause und unterwegs verfügbar zu machen. Das Onlinezugangsgesetzes (OZG) legt fest, dass die wichtigsten Verwaltungsleistungen in Bund, Ländern und Kommunen bis Ende 2022 digital zugänglich sein müssen.      

„Binnendigitalisierung“ nach außen verknüpfen

Die Landesregierung in Stuttgart will den Kommunen noch in diesem Jahr eine Plattform zur Verfügung stellen, die eine sichere Kommunikation nach außen gewährleistet. Über das bereits existierende Portal service-bw sollen künftig sogenannte Basisdienste laufen: Bürger und Unternehmen erhalten ein eigenes Konto samt elektronischem Postfach, Dokumentenablage und einer E-Payment-Funktion.

Bundesweite Vernetzung

Das ist aber nur die Grundlage, daneben müssen eben sämtliche Prozesse digital neu aufgesetzt werden. Dafür arbeiten Bund, Länder und einige Kommunen in vielen Digitallaboren deutschlandweit an der Umsetzung. Wenn alle ihre Hausaufgaben machen, dann schafft man es im Ostalbkreis bis Ende 2020 intern vollkommen auf die E-Akte umzustellen. Parallel könnten ab diesem Jahr schon einige und bis Ende 2022 immer mehr digitalisierte Verwaltungsleistungen über das Bürgerportal und die Basisdienste der Landesregierung für Bürger und Unternehmen nutzbar gemacht werden