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© Mohamed Hassan / Pixabay

EID in Schaffhausen mit nutzerzentriertem Design entwickelt

Eine Public Service Innovation am Beispiel der Schaffhauser e-ID+

Wie lassen sich im Public Sector technologische Innovationen testen und auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer ausrichten? Bei der Einführung der Schaffhauser eID+ wurde dafür eigens ein Co-Design-Ansatz entwickelt, mit dem die Ideen und Bedürfnisse der Anspruchsgruppen abgeholt werden konnten. Während der Pilotphase hatten die Bürgerinnen und Bürger sowie Verwaltungsangestellte die Gelegenheit, konkrete Optimierungsvorschläge in die weitere Entwicklung der Applikation einfließen zu lassen.

Dank neuer Technologien lässt sich ein ganztägiger und ortsunabhängiger Zugang zu unterschiedlichsten Dienstleistungen ermöglichen. Gleichzeitig schafft der digitale Raum neue Herausforderungen, insbesondere was den Datenschutz und die Datensicherheit betrifft. Zusätzlich stellt die Anwendung einer neuen Technologie für viele Menschen eine schwierige Aufgabe dar. Mit nutzerzentriertem Design lässt sich dies aber weitestgehend vermeiden und es können Applikationen entwickelt werden, die das tägliche Leben stark vereinfachen.

Bevölkerung, Unternehmen und Verwaltung verknüpfen

Im Kanton Schaffhausen wurde dieser Wandel registriert und entschieden, dass man diesen Ansprüchen der Bevölkerung proaktiv begegnen möchte. Gestützt wurde dieses Bestreben durch die steigende Bedeutung sogenannter „weicher Standortfaktoren“, wozu auch die Bereitschaft zur Innovation gehört. So wurde in Schaffhausen eine Strategie entwickelt, die im Rahmen eines Testing-Labs das Ziel verfolgt, Raum für zukunftsgewandte Innovationen zu schaffen. Konkrete Projekte laufen heute in den Bereichen Smart Mobility/Smart City (Swiss Transit Lab), Cyber-Sicherheit (SIT Schaffhausen Institute of Technology), Future Farming (Swiss Future Farm), oder eben – Smart Government. In den letztgenannten Bereich fällt u. a. das Projekt der Schaffhauser eID+, die eine effiziente und sichere Vernetzung zwischen der Bevölkerung, ansässigen Unternehmen und der Schaffhauser Verwaltung ermöglichen soll.

Ramon Göldi ist seit 2016 bei der Wirtschaftsförderung des Kantons Schaffhausen tätig.

500 Personen nutzen 40 eServices

Bei der Schaffhauser eID+ handelt es sich um eine Smartphone-basierte Applikation, die vom Tech-Startup Procivis AG entwickelt wurde. Die persönlichen Daten der Nutzerinnen und Nutzer werden dabei auf dem Smartphone verschlüsselt abgespeichert und die Datenhoheit verbleibt stets bei den Nutzenden der elektronischen Identität. Sie wissen immer, welche Daten für die einzelnen Dienstleistungen verwendet wurden Die Technologie soll einen sicheren und einfachen Zugang zu den elektronischen Dienstleistungen des Kantons Schaffhausen ermöglichen. Stand heute sind rund 40 eServices über die Schaffhauser eID+ verfügbar und ca. 500 Personen nutzen die Applikation regelmäßig.

Bewohner des Kantons Schaffhausen können auf ihrem Mobiltelefon eine elektronische Identität einrichten und die darin erfassten Daten vom Einwohneramt bestätigen lassen.
© Screenshot https://sh.ch/ (15.05.2019)

Begleitung durch Institut für Verwaltungs-Management

Das eID-Projekt startete im zweiten Halbjahr 2017 und wurde am eGov-Day 2017 des Kantons Schaffhausen in Form einer ersten Beta-Version der breiten Bevölkerung vorgestellt. Gleichzeitig wurden erste elektronische Identitäten ausgestellt. Dank dieser Veranstaltung und der Unterstützung der Schaffhauser Politik konnte mit vollem Schwung in die Pilotphase übergegangen werden. Zur Begleitung der Pilotphase wurde das Institut für Verwaltungs-Management (IVM) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften beigezogen, um die Entwicklung und Implementierung der Schaffhauser eID+ während der Pilotphase wissenschaftlich zu begleiten.

Dabei war von Beginn an klar, dass die potentiellen Nutzerinnen und Nutzer der Schaffhauser eID+ aktiv in die weitere Entwicklung der Applikation einbezogen werden sollen, denn der Projekterfolg hängt schließlich maßgeblich von der Akzeptanz ab.

Kevin Andermatt ist wiss. Assistent an der Fachstelle «Public Networks and Service Delivery» an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW).
© ZHAW

Smart Government von der Bevölkerung für die Bevölkerung

Aus theoretischer Sicht leitend waren die Impulse aus dem „New Public Management“ hin zu einem betriebswirtschaftlichen Verständnis von Verwaltungen und entsprechenden Forderungen nach einer verstärkten Kunden- bzw. BürgerInnen-Orientierung. Weitere Orientierung bot ein neuer Idealtypus des Verwaltungshandelns – das sogenannte Smart Government. Noch gibt es keine einheitliche Definition von Smart Government. Im Zentrum stehen jedoch die Nutzung und Vernetzung neuer Kommunikations- und Informationstechnologien und der konsequente Einbezug unterschiedlichster

Instrumente für ein partizipatives Verwaltungshandeln stehen bereits zur Verfügung. Im Fall von Schaffhausen bot sich dabei ein Co-Design-Ansatz an.

Anspruchsgruppen, insbesondere der Bürgerinnen und Bürger. Die Bevölkerung soll die Entwicklung eines Smart Government oder einer Smart City (oder vermehrt Responsive City) mitgestalten können.

Instrumente für den Einbezug von Anspruchsgruppen

Instrumente für ein partizipatives Verwaltungshandeln stehen bereits zur Verfügung. Konzepte wie Co-Production, Co-Creation, Human Centered Design oder Co-Design sind in aller Munde. Im Fall von Schaffhausen bot sich dabei ein Co-Design-Ansatz an. Beim Co-Design geht es darum, die Bedürfnisse und Ideen der späteren Nutzerinnen und Nutzer sowie der Leistungserbringer möglichst früh abzuholen und in die Entwicklung einfließen zu lassen. Die nachfolgende Auflistung zeigt, wie der Co-Design-Ansatz im Kanton Schaffhausen strukturiert war (Zeit pro Teilnehmer/-in: ca. 45 Min.):

Einführung

  • Bereitstellung von Hintergrundinformationen zum Projekt

  • Erläuterung des folgenden Prozesses

ABC Analyse

  • Teilnehmende priorisieren potenzielle eID-Services

Semi-strukturiertes Interview

  • Teilnehmende beantworten Fragen zur Priorisierung und geben zusätzliches

  • Feedback zu eID-Services

Usability-Test

  • Teilnehmende nutzen die eID selbstständig und geben laufend Feedback

  • (Thinking-aloud Methode)

Semi-strukturiertes Interview

  • Teilnehmende beantworten Fragen zum Usability-Test und machen zusätzliche

  • Optimierungsvorschläge

Finales Feedback

  • Teilnehmende machen abschließende Bemerkungen zum Co-Design und zur eID

Co-Design angewandt: Partizipative Weiterentwicklung

Im Februar 2018 wurden an drei verschiedenen Tagen Usability-Tests, teilstrukturierte Interviews mittels Fragebögen und ABC-Analysen durchgeführt. An diesen Tagen haben insgesamt 30 Probanden am Schaffhauser Co-Design teilgenommen. Davon haben sich 25 Personen mit der Front-End-Version befasst und mit fünf Angestellten der Einwohnerkontrolle – die Stelle, welche die eID+ verifiziert – wurde die Back-End-Version bearbeitet. Die gesammelten Optimierungsvorschläge wurden verdichtet und in den weiteren Entwicklungsprozess eingespeist.

Aufbrechen des stahlharten Gehäuses

Die Einführung der Schaffhauser eID+ hat gezeigt, dass abgesehen von Menschen, die sich für Innovation begeistern können, auch eine offene und agile Verwaltungskultur und entsprechende Strukturen gebraucht werden. Sobald es um die Bereitstellung von Inhalten, also eServices für die eID, geht, sind zwangsläufig verschiedene Departemente involviert. Ein Wegkommen vom Silo-Denken und hin zu einer Netzwerkstruktur ist daher essentiell, wobei bewusst auch verwaltungsexterne Beiträge Beachtung finden sollen.

Die Einführung der Schaffhauser eID+ hat gezeigt, dass abgesehen von Menschen, die sich für Innovation begeistern können, auch eine offene und agile Verwaltungskultur und entsprechende Strukturen gebraucht werden.

Über möglichst wenige Ebenen gleichberechtigt steuern

Um solche Netzwerkstrukturen zu steuern sind strenge Top-Down-Hierarchien wenig geeignet. Vielmehr soll über möglichst wenige Ebenen gleichberechtigt gesteuert werden. Es empfiehlt sich, das Verwaltungshandeln - wie in angelsächsischen Staaten – stärker an der Legitimität auszurichten. Eine Verwaltungsethik kann hier langfristige Orientierung bieten. Auf der Mikroebene kommt man schließlich weg von linearen Routinetasks und verstärkt hin zu einer Projekt- und Nutzerorientierung. Zuletzt soll nicht mehr nur die reine Ausführung von vorgegebenen Aufgaben als Erfolg gewertet werden, sondern vielmehr sollen auch Versuche gewürdigt werden. Kurz: Die öffentliche Verwaltung braucht ein Update.

Lessons Learned

  1. Um die notwendigen Ressourcen zu erhalten, braucht es die politische Unterstützung der Exekutive. Außerdem sollte das Projekt in der Gesamtstrategie verankert sein.

  2. Die Durchführung einer Pilotphase hat sich als wertvoll herausgestellt. Dank diesem agilen und kostengünstigen Vorgehen können Risiken frühzeitig minimiert werden.

  3. Offene Labor-Settings wie bei der Einführung der Schaffhauser eID+ beeinflussen das Image des Standorts und führen zu positiven Spillover-Effekten.

  4. Es sollen nicht nur die potentiellen Nutzer vom Projekt überzeugt werden, sondern auch die Mitarbeitenden der zuständigen Ämter.

  5. Eine enge Kooperation zwischen Verwaltung und Privatsektor hat sich als sehr gewinnbringend erwiesen.

  6. Als weiterer Erfolgsfaktor erwies sich die Einbeziehung der Hochschule. Dank des konzeptionellen und wissenschaftlichen Know-hows konnte die Technologieakzeptanz untersucht und Optimierungspotenziale identifiziert werden.

  7. Es wird empfohlen, Innovationen in einem frühen Stadium in die Praxis umzusetzen – wie es im Privatsektor üblich ist.

  8. Die Pilotphase startete offiziell am kantonalen „E-Government-Tag“. So konnten bereits früh erste Nutzer gewonnen werden. Die anschließenden Medienberichte führten zu einer weiteren Steigerung der Nutzerzahlen.

  9. Um den Nutzen der Technologie aufzeigen zu können, sollen die Art und Anzahl der über die Schaffhauser eID+ verfügbaren Services frühzeitig kommuniziert werden.

  10. Für die Usability-Tests sollten freiwillige Testpersonen mit unterschiedlichen demographischen Eigenschaften und unterschiedlicher Technik-Kompetenz aufgeboten werden.

  11. Sobald ein zufriedener Nutzerkreis und effiziente Prozesse vorhanden sind, sollte Pilot in den Normalbetrieb überführt werden.

  12. Sobald der Entscheid zur Aufnahme des Normalbetriebs gefallen ist, müssen zwingend genügend Ressourcen bereitgestellt werden, damit die ursprüngliche Dynamik beibehalten werden kann.

  13. Der Einsatz von adaptiven Technologien und die Bereitstellung innovativer Schnittstellen erleichtert die fortwährende Optimierung von Verwaltungsleistungen.

Über die Autoren

Ramon Göldi ist seit 2016 bei der Wirtschaftsförderung des Kantons Schaffhausen tätig, die von der Generis AG im Mandatsverhältnis geführt wird. Kevin Andermatt ist wissenschaftlicher Assistent an der Fachstelle «Public Networks and Service Delivery» am Institut für Verwaltungs-Management der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Der Gastbeitrag basiert auf einem Artikel der Autoren:

Der Artikel ist außerdem erschienen im Schweizer "Staatslabor". Hier finden Sie weitere interessante Aspekte innovativer Methoden und wirksamer Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen in der Schweiz: