Schweden; Digitalisierung; Land; Verwaltung; Daten; Register
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„Schweden ist das bessere Beispiel“

Interview mit dem bayerischen Landtagsabgeordneten Benjamin Adjei

In vielen Bereichen fehlt ihm ein strategisches staatliches Vorgehen und ein übergreifendes Gesamtkonzept. Der bayerische Landtagsabgeordnete Benjamin Adjei plädiert dafür, dass sich Politik und Verwaltung bei der funktionellen Ausgestaltung der Digitalisierung und seiner Komponenten der eigentlichen Zielstellung bewusster werden. Denn ohne Ziel, auch keine geeigneten Mittel, erklärt der studierte Informatiker gegenüber Verwaltung-der-Zukunft.
Benjamin Adjei ist Grünen-Abgeordneter im Bayerischen Landtag und Fraktionssprecher für Digitalisierung. Der 29-Jährige studierte Scientific Computing und Stochastic Engineering in Business and Finance an der Hochschule München.
© Stefan M. Prager/Grünen-Fraktion Bayern

Verwaltung der Zukunft: Gibt es ein Amt, ein Ministerium oder eine andere Behörde, die sie an dieser Stelle einmal richtig loben möchten?

Adjei: Ich glaube, dass wir in Deutschland schon gute Behörden haben. Es wird immer viel auf der Bürokratie herumgehakt, wenn es darum geht Formalien zu klären. Grundsätzlich bin ich aber der Überzeugung, dass wir gute Beamtinnen und Beamte haben, die einen durch den "Paragrafen-Dschungel" lotsen. Und auch die Bürokratie als solche hat erst einmal Vorteile, weil eben alles klar geregelt ist. Vieles ist durch Gerichtsurteile entstanden und wurde im Laufe der Zeit angepasst, um Graubereiche möglichst immer klarer zu regeln. Anders in den USA: Hier läuft vieles über Gerichtsurteile, das führt auch immer wieder zu Klagewellen, wenn eben nicht nachgebessert wurde. Deshalb betrachte ich die generelle Herangehensweise unseres Systems schon als vorteilhaft. 

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Es kommt bislang zu stark auf den Standort an, wie gut jungen Menschen mit aussichtsreichen Ideen weitergeholfen wird.

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VdZ: Nun bringt die heutige Zeit neue Erfordernisse mit sich – wo sehen Sie Verbesserungsbedarf in unserem Verwaltungshandeln?

Adjei: Ich sehe z. B. die ganz konkrete Notwendigkeit, bei der Vergabe von Fördermitteln und Beratungsangeboten nachzujustieren. Es gibt hier tatsächlich einen „Dschungel“ an Förderangeboten, verteilt über ganz verschiedene Ministerien und eigentlich auch eine ganze Reihe an Förderberechtigten, die aber vielfach keine Kenntnis davon haben. Oft ist gar nicht ersichtlich, dass es überhaupt Mittel gibt, geschweige denn an welcher Stelle und auf welchem Wege. Gründerinnen und Gründer müssen schon sehr genau wissen, wo sie was bekommen, um erfolgreich an Gelder zu gelangen. Im Vergleich zu großen Unternehmen haben Startups eben keine eigene Abteilung mit Knowhow, die weiß, wie es funktioniert.    

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Oft ist gar nicht ersichtlich, dass es überhaupt Mittel gibt, geschweige denn an welcher Stelle und auf welchem Wege.

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VdZ: Was schlagen Sie mit Blick auf die Startup-Szene vor, die ja hierzulande vermehrt für digitale Innovationen sorgen soll?

Adjei: Es braucht zentrale, möglichst integrierte Anlaufstellen. Ich selbst war an der Hochschule München – eine der großen Gründer-Hochschulen Deutschlands. Dort gibt es ein großes Gründerzentrum und die Studierenden werden sehr gut unterstützt. Dabei geht es nicht nur um die Fördermittel, sondern auch darum, wie man Business-Pläne schreibt und Kredite bekommt. Ähnlich läuft es an der TU München. Das sind allerdings Ausnahmen – es kommt bislang zu stark auf den Standort an, wie gut jungen Menschen mit aussichtsreichen Ideen weitergeholfen wird. Wenn wir eine vitalere Gründerszene und mehr Innovationen haben wollen, muss sich daran etwas ändern!

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Die Realität sieht mitunter so aus, dass Verwaltungsverfahren teildigitalisiert sind und ein ausgefüllter Antrag in der Sachbearbeitung doch wieder ausgedruckt und dann manuell ins nächste System eigetragen wird.

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VdZ: Das sind zwei positive Beispiele aus Bayern – der Freistaat rühmt sich auch, ein eigenes „Bayern-Portal“ zu haben, auf dessen Leistungen Bürger bereits zugreifen können. Wie weit ist man bei Ihnen tatsächlich? 

Adjei: Das große Problem besteht auch beim Bayern-Portal weiterhin darin, dass man am Ende doch wieder bei einer größeren Sammlung an PDFs landet. Eine medienbruchfeie digitale Verwaltung existiert auch im Freistaat bislang kaum oder nicht. Die Realität sieht mitunter so aus, dass Verwaltungsverfahren teildigitalisiert sind und ein ausgefüllter Antrag in der Sachbearbeitung doch wieder ausgedruckt und dann manuell ins nächste System eigetragen wird. Das kann nicht Sinn und Ziel sein.

Auf der Executive Convention Digital World & Governance Ende März in Berlin: Benjamin Adjei diskutiert mit Digital-Experten und Politikern zu Wirtschaftsstandort- und Förderpolitik in Zeiten digitalen Wandels.
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VdZ: Dann sind wir auch schnell in der wiederkehrenden Föderalismus-Debatte – macht am Ende auch in Bayern jeder seins? 

Adjei:  In München und Nürnberg kümmern sich die großen IT-Abteilungen um die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse. Das ist insofern notwendig, als der Bedarf besteht und eine große Masse an BürgerInnen und Bürgern vorhanden ist, die digitale Leistungen nun vehementer einfordert. Ich kann mir auch vorstellen, dass Städte in dieser Größenordnung das ganz gut hinbekommen. Letztlich werden die unterschiedlich erdachten Lösungen aber kaum miteinander harmonisieren. Hinzu kommt die bisher fehlende Vernetzung der vielen Register auf kommunaler Ebene. Wir wissen, dass der Föderalismus zwar Vorteile mit sich bringt. Im Digitalisierungsprozess ist es aber umso schwerwiegender, wenn jedes Bundesland und jede Kommune ihr eigenes Süppchen kochen.

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Die schwedischen Behörden sind so miteinander vernetzt, dass Formulare vorausgefüllt werden können und Steuererklärungen z. B. in fünf Minuten möglich sind.

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VdZ:  Nun wird hierzulande gern auf Estland gezeigt – ein Vorbild in Sachen „Staatsdigitalisierung“?

Adjei: Estland ist meines Erachtens aufgrund seiner Größe und des geringen Datenschutzes kein passender Vergleich. Ein besseres Beispiel ist Schweden. Hier gibt es eine zentrale Datenbank, in der alle Informationen über die Menschen gespeichert sind. Wir besitzen hingegen eine Vielzahl an Datenbanken bzw. Registern und scheitern im Grunde schon dabei, die Daten überhaupt miteinander zu teilen. Die schwedischen Behörden sind so miteinander vernetzt, dass Formulare vorausgefüllt werden können und Steuererklärungen z. B. in fünf Minuten möglich sind. Bei dieser zentralen Datenhaltung bleiben die Schwed*innen Eigentümer*innen ihrer Daten. Wenn eine Behörde gewisse Daten anfragen möchte, muss die oder der Einzelne erst zustimmen. Zudem können die Bürgerinnen und Bürger immer nachforschen, wer eigentlich wann auf ihre Datenzugegriffen hat und was damit gemacht wurde. Das gilt im Übrigen für alle Fälle, in denen die „digitale Identität“ sinnvoll eingesetzt werden kann – also auch bei Versicherungen, Ärzten, Apotheken usw.

Daten abrufen mit dem Einverständnis des Bürgers: Schweden zeigt, wie Register effektiv und datensensibel geführt werden können. Im Bild: die Hauptstadt Stockholm.

VdZ: Näher an unserer Verwaltungstradition als Schweden liegt Österreich – ein ebenso gutes Beispiel?   

Adjei: Auch Österreich ist in Sachen eID und Register schon deutlich weiter. Der Unterschied zu uns liegt darin, dass in beiden Ländern schon vor Jahrzehnten überlegt wurde, wie man den Datenaustausch effektiver gestalten und Systeme miteinander vernetzen kann. Bei uns ist das nicht passiert. Wir fangen jetzt erst an, allerdings oft von der falschen Seite.   

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Erst wenn man so das „große Ganze“ erfasst hat, startet der Prozess rund um die funktionelle Ausgestaltung einzelner Teile.

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VdZ: Was meinen Sie damit?

Adjei: In vielen Bereichen fehlt mir ein strategisches Vorgehen, so auch bei der eID. Anstatt uns zuerst Gedanken darüber zu machen, welche die richtige Lösung sein könnte, sollten wir erst einmal überlegen, was alles zu digitalisieren ist und welcher Anspruch entsprechend anzulegen ist. Was ist also Ziel? Wenn ich Software entwickle, fange ich auch von oben an: Was soll das System insgesamt, was die einzelnen Module können? Erst wenn man so das „große Ganze“ erfasst hat, startet der Prozess rund um die funktionelle Ausgestaltung einzelner Teile. Dieses Gesamtkonzept fehlt aus meiner Sicht – wenn man nämlich nicht weiß, was mit einer eID gemacht werden soll, ist es auch schwer zu sagen, welches eID-System geeignet wäre.