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„Wir rechnen mit 1600 Verfahren pro Jahr“

5 Fragen an Staatsanwältin Britta Zur, damalige Leiterin des Sonderdezernats „Gewalt gegen Personen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen“ in Düsseldorf

THW-Einsatzkräfte, Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Notärzte, Lehrer, Bademeister, Busfahrer, Schaffner, Mitarbeiter von Ordnungsämtern und Jobcentern, Gerichtsvollzieher, Zollbeamte und ganz besonders Polizisten: Personen mit öffentlichen Aufgaben werden immer öfter nicht nur respektlos behandelt und in ihrer Arbeit behindert, sondern auch zum Ziel von Widerstand und Gewalt. Verwaltung der Zukunft hat mit der Düsseldorfer Staatsanwältin Britta Zur gesprochen, die das Sonderdezernat „Gewalt gegen Personen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen“ leitet.

Verwaltung der Zukunft: Man hört immer häufiger von Übergriffen etwa auf Feuerwehrleute, Rettungssanitäter, Bademeister und ganz besonders Polizisten. Berichten die Medien vermehrt darüber oder haben solche Vorfälle wirklich zugenommen?

Zur: Das ist für mich insoweit schwer zu beantworten, als wir diese Delikte erst seit gut einem Jahr überhaupt statistisch erfassen.

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Seitdem es diesen Sonderbereich gibt, steigen die Zahlen.

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Erst seit Einrichtung unserer Sonderabteilung zum September 2018 wird dieser Deliktsbereich separat erfasst. Vorher sind diese Verfahren in den allgemeinen Abteilungen der Staatsanwaltschaft bearbeitet und dementsprechend nicht gesondert erfasst worden.

Seitdem es diesen Sonderbereich gibt, steigen die Zahlen jedoch.

Wir rechnen mittlerweile mit rund 1600 Verfahren pro Jahr – das ist deutlich mehr als wir zuvor erwartet hatten.

Sicherlich hat das Thema in den letzten Monaten auch eine sehr intensive Medienpräsenz erfahren; dies werte ich als gute und richtige Entwicklung und zum Teil auch als Reaktion auf unsere konsequente Arbeit in diesem Bereich.

VdZ: Es ist von Respektlosigkeiten die Rede, von der Behinderung ihrer Arbeit, von Widerstand und auch Gewalt. Können Sie beschreiben, was Personen mit öffentlichen Aufgaben tatsächlich widerfährt?

Zur: Personen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, sind in unterschiedlichster Weise von Gewalt, von Widerstand und Respektlosigkeit betroffen.

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Jeder Polizist, der seinen Dienst in der Düsseldorfer Altstadt verrichtet, ist schon einmal beleidigt worden.

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Das beginnt bei verbalen Entgleisungen und endet nicht selten in gewalttätigen Übergriffen.Ich glaube, jeder Polizist, der seinen Dienst in der Düsseldorfer Altstadt verrichtet, ist schon einmal beleidigt worden.

Aber es sind ja nicht nur die klassischen Uniformträger, die wir schützen, sondern auch die Menschen, die im Jobcenter oder als Schaffner arbeiten, als Lehrer oder als Bademeister.

Und viele von ihnen werden tagtäglich mit den unterschiedlichsten Arten von Übergriffen konfrontiert.

VdZ: Warum ist da so, wo sehen Sie die Ursachen?

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Wir können in vielen Bereichen eine gewisse Verrohung der Gesellschaft feststellen.

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Zur: Ich denke, dass wir in vielen Bereichen sicherlich eine gewisse Verrohung der Gesellschaft feststellen können, die sich auch oder gerade in einer zunehmenden Respektlosigkeit gegenüber Menschen äußert, die Aufgaben im Bereich des öffentlichen Dienstes wahrnehmen.

Die Ursachen hierfür sind wahrscheinlich vielfältiger Natur – für mich als Juristin ist diese Frage aber immer schwer zu beantworten; da wäre ein Soziologe wahrscheinlich der bessere Ansprechpartner.

VdZ: Ist das ein Phänomen gesellschaftlicher Randbereiche – etwa krimineller Familienclans – oder haben sich Einstellung und Verhalten breiterer Gesellschaftsschichten etwa gegenüber der Polizei verändert?

Zur: Nach meiner Erfahrung aus einem Jahr Arbeit in diesem speziellen Bereich ist das Problem des mangelnden Respekts gegenüber Personen, die Aufgaben des öffentlichen Dienstes wahrnehmen, ein breit aufgestelltes.

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Die Respektlosigkeit, die zu beobachten ist, macht vor keiner Gesellschafts- oder Bildungsschicht Halt.

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Es gibt natürlich den „typischen Durchschnittstäter“, den jungen Mann, der sich alkoholisiert nach einem Altstadtbesuch pöbelnd mit Polizeibeamten anlegt und in diesem Zusammenhang auch körperlich übergriffig wird. Diese Delikte, die sich im Bereich der Düsseldorfer Altstadt abspielen, bilden sicherlich den größten Teil der Verfahren ab, die wir hier bearbeiten.

Allerdings konnten wir feststellen, dass auch gerne Menschen wie Hausfrauen, Ärzte und Lehrer Gewalttaten gegen Einsatzkräfte verüben. Die Respektlosigkeit, die zu beobachten ist, macht vor keiner Gesellschafts- oder Bildungsschicht Halt; da werden auch gerne Polizeibeamten im Rahmen einer Verkehrskontrolle von einem Rechtsanwalt beschimpft oder das Sicherheitspersonal am Flughafen von einer Professorin, weil die Abfertigung ihr zu lange dauert.

Täter lassen sich überall ausfindig machen; es sind auch viele Jugendliche oder Heranwachsende darunter.

VdZ: Sie leiten das Sonderdezernat „Gewalt gegen Personen, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen“ bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, d. h. Sie verfolgen solche Vorfälle mit juristischen Mitteln. Was kann der Staat tun, um seine Staatsdiener zu schützen?

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Es ist wichtig, die Probleme anzusprechen und den Betroffenen eine Plattform zu geben.

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Zur: Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, das Thema immer mehr und immer wieder in den öffentlichen Fokus zu rücken. Es ist wichtig, die Probleme anzusprechen und den Betroffenen eine Plattform zu geben.

Auch ist es ganz wichtig, den betroffenen Kollegen und Kolleginnen zu signalisieren, dass der Staat da ist und sich um jeden einzelnen Übergriff kümmert – und es eben nicht zu einer Einstellung des Verfahrens kommt, sondern dass Vorfälle aus diesem Bereich auch konsequent und mit aller Härte verfolgt werden.

Die Einrichtung einer solchen Sonderabteilung werte ich daher als ganz wichtigen Schritt in die richtige Richtung.

Britta Zur war 2008 - 2009 Richterin am Land- und am Amtsgericht Düsseldorf und ist seit 2009 Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Sie war 2010 - 2018 Kapitaldezernentin und ist seit 2018 Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Düsseldorf sowie Sonderdezernentin für Verfahren zum Nachteil von Einsatzkräften.