Polizisten

Wenn die Polizeiliche Kriminalstatistik wenig nützt

Bosbach: Vertrauen bei den Menschen schaffen / Schönbohm: Verständliche IT-Sprache sprechen / Kongress versammelt „Who-is-Who“ des Staates - Auftakt für mehr!

Um das Vertrauen in den Staat zu erhalten, ist es enorm wichtig, „Sicherheit“ aus ganz verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. So umriss Wolfgang Bosbach das Leitmotiv des ersten Gesellschaftlichen Dialogs Öffentliche Sicherheit in Berlin. Der Kongress startete Montagabend mit einem Empfang, der laut BSI-Präsident Arne Schönbohm das „Who-is-Who des Staates“ versammelte.

Das Thema Sicherheit dreht sich bislang zumeist um das richtige rechtliche Instrumentarium und das adäquate Personal sowie um eine möglichst moderne technische Ausstattung. „Es geht aber auch um das Verhältnis, das wir zu den Menschen haben, denen wir die Sicherheit anvertrauen – nicht nur zu den Polizeikräften, sondern zu allen, die die Aufgabe haben, dieses Land vor Gefahren zu schützen.“  

Schon am Vorabend des Gesellschaftlichen Dialogs Öffentliche Sicherheit diskutierten rund 100 Experten aus der Sicherheitsbranche im Berliner Hotel de Rome.
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Es sind die persönlichen Erfahrungen

Wenn die Menschen in unserem Land das Gefühl bekommen, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, sie vor Straftaten zu schützen, wenden sie sich im Zweifel vom ihm ab und radikalen Kräften zu. „Da nützt es auch nichts, mit der polizeilichen Kriminalitätsstatistik zu winken“, unterstrich Bosbach. Auch wenn die Zahlen in zehn Deliktsgruppen gesunken seien, komme es vielfach auf die individuellen Erfahrungen der Menschen an. Der frühere Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses berichtete von einem Besuch an der deutsch-polnischen Grenze.

In seinem Element: Wolfgang Bosbach ist Kongresspräsident des Gesellschaftlichen Dialogs Öffentliche Sicherheit.
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Durch die Reform in Brandenburg musste sich die Polizei aus großen Teilen der Fläche zurückziehen. Das führt zu langen Anfahrtszeiten der Beamten und erschwert es seither, vor allem Diebstahldelikte zu verfolgen.  „Was ich in diesen zwei Stunden bei einer Bürgerversammlung im Amt Gartz erlebt habe, hat mir persönlich mehr vermittelt über Sicherheit, als es je eine Experten-Anhörung getan hat.“

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Was ich in diesen zwei Stunden bei einer Bürgerversammlung im Amt Gartz erlebt habe, hat mir persönlich mehr vermittelt über Sicherheit, als es je eine Experten-Anhörung getan hat.

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Keinen Polizeistaat, aber einen starken Staat

Niemand wolle den „Eisernen Vorhang“ zurück, die Menschen verlangen  jedoch neben Rechtsstaat, Demokratie und bürgerlichen Freiheitsrechten gleichermaßen Schutz vom Staat. Bosbach: „Sie wollen keinen Polizeistaat, keinen Überwachungsstaat, aber sie wollen einen starken Staat.“ Einen starken Staat, der im Zweifel schnell vor Ort ist und gerade auch sozial Schwächeren helfen kann. Das gilt auch für die digitale Welt.

Cyber Crime as a Service

„Wir identifizieren jeden Tag über 280.000 neue Schadprogramme, obwohl wir noch nicht digitalisiert sind“, erklärte Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Nicht digitalisiert, weil es noch gar kein 5G gibt und weder autonomes Fahren noch vor uns das Internet of Things (IoT) voll entwickelt seien. „Es gibt verschiedene Studien, wonach das Organisierte Verbrechen seit 2009 mehr Geld mit Cyber-Kriminalität verdient als mit Drogen“, so Schönbohm. Früher war das Thema Schutzgelderpressung, heute sei es „Crime as a Service“.   

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In den zehn meist verbreiteten Software-Produkten haben wir im letzten Jahr über 1.000 Schwachstellen gefunden.

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Nicht nur durch die Blume: Arne Schönbohm fand viele klare Worte zur aktuellen Lage von Sicherheit und Digitalisierung.
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Das Problem breiter IT-Unsicherheit bleibt virulent, gerade im Bereich mobiler Endgeräte: „In den zehn meist verbreitetsten Software-Produkten haben wir im letzten Jahr über 1.000 Schwachstellen gefunden.“ Alleine für den Monat April summierten sich die identifizierten Schadprogramme für das Android-System auf rund 800.000. Ein Riesenproblem.

Stärker auf die "Logistikwege der Zukunft" konzentrieren

Zwar sei das BSI europaweit die größte Behörde ihrer Art und zehnmal so groß wie das europäische Pendant auf EU-Ebene (ENISA). Mit 840 Stellen müsse sein Amt jedoch alle Logistik-Wege der Zukunft überwachen und arbeite als zentrales Kompetenzzentrum in Sachen IT-Sicherheit mit unzähligen Akteuren zusammen. „Jetzt gibt es ja jemanden, der sozusagen zuständig ist für die Logistikstraßen der Vergangenheit. Was glauben Sie wie viele Mitarbeiter das Wasser- und Schifffahrtsamt hat?“,  fragte der oberste deutsche IT-Schützer mit Blick auf die aktuellen Haushaltsverhandlungen im Deutschen Bundestag. „11.000!“

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Wie viele Weckrufe brauchen wir noch?

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Arne Schönbohm, Präsident des BSI

Auf Krämer und kleine Betriebe einstellen

Wichtig für die Zukunft sei es, dass die vielen Warnungen aus der Vergangenheit endlich Gehör finden, unterstrich Schönbohm. Dazu gehörten etwa Stuxnet sowie Angriffe auf Energieversorger und den Bundestag. „2007 Estland, 2008 Georgien, 2009 Kirgisistan – wie viele Weckrufe brauchen wir noch?“ Darüber hinaus sieht der BSI-Chef großen Bedarf, dass die Branche sich sprachlich besser auf die vielen kleineren Unternehmen und „Krämer-Läden“ einstellt. Es dürfe einfach nicht mehr „hipp und toll“ sein, eine Sprache zu sprechen, die gerade da keiner versteht, wo die Probleme oft am drängendsten sind.