Stift

Wesentliche Änderungen an den Vergabeunterlagen

Was gilt es hierbei zu beachten? 

Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, Bewerbern oder Bietern die Vergabeunterlagen vollständig zur Verfügung zu stellen (§ 41 VgV). Der öffentliche Auftraggeber gibt mit den Vergabeunterlagen den Inhalt der Ausschreibung vor, damit er in jeder Hinsicht vergleichbare Angebote erhält. Aus diesem Grund dürfen Bieter die Vergabeunterlagen nicht einseitig ändern (vgl. § 53 Abs. 7 VgV). Wie aber verhält es sich mit Änderungen durch den Auftraggeber? Können Auftraggeber den Inhalt der Vergabeunterlagen nach Bekanntmachung ändern?

Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, Bewerbern oder Bietern die Vergabeunterlagen vollständig zur Verfügung zu stellen (§ 41 VgV). Der öffentliche Auftraggeber gibt mit den Vergabeunterlagen den Inhalt der Ausschreibung vor, damit er in jeder Hinsicht vergleichbare Angebote erhält. Aus diesem Grund dürfen Bieter die Vergabeunterlagen nicht einseitig ändern (vgl. § 53 Abs. 7 VgV). Wie aber verhält es sich mit Änderungen durch den Auftraggeber? Können Auftraggeber den Inhalt der Vergabeunterlagen nach Bekanntmachung ändern? 

In der Praxis besteht durchaus ein Bedürfnis für Änderungen an den Vergabeunterlagen. Nicht selten kommt es vor, dass der Auftraggeber im Anschluss an Bieterfragen, eine Rüge oder die Entscheidung in einem Nachprüfungsverfahren, Korrekturen an der Leistungsbeschreibung oder dem Vertrag durchführen oder die Eignungskriterien ändern will. Was gilt es hierbei zu beachten? 

Anwendbarkeit des § 20 Abs. 3 VgV auf Teilnahmefristen

Das Vergaberecht enthält mit § 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VgV eine Regelung zu den Konsequenzen von Änderungen an den Vergabeunterlagen. Gemäß § 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VgV sind die Angebotsfristen angemessen zu verlängern, wenn der öffentliche Auftraggeber die Vergabeunterlagen wesentlich ändert.

Zwar bezieht sich die Vorschrift nach ihrem Wortlaut ausschließlich auf die Verlängerung der Angebotsfristen, doch erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 20 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VgV mit einer Entscheidung des OLG Düsseldorf auch auf Teilnahmefristen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.03.2018 – VII-Verg 40/17). Mit seinem Beschluss stellt sich das OLG Düsseldorf explizit einer Entscheidung der VK Bund (Beschluss v. 01.08.2017 – VK 1-69/17) entgegen, nach der § 20 Abs. 3 VgV gemäß seinem Wortlaut ausschließlich auf Angebotsfristen anwendbar sei.

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Bei den Vergabeunterlagen handelt es sich um die Unterlagen, die erforderlich sind, um dem Bewerber oder Bieter eine Entscheidung zur Teilnahme am Vergabeverfahren zu ermöglichen (vgl. § 29 VgV). 

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Zur Begründung führt das Gericht an, dass eine planwidrige Regelungslücke für Teilnahmeanträge bestehe. Die Interessenlage bei einer nachträglichen Änderung der Vergabeunterlagen sei in einstufigen Vergabeverfahren und (mehrstufigen) Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb vergleichbar. In beiden Fällen bedürfe es einer Reaktion der Bewerber/Bieter auf die geänderten Vergabeunterlagen, für die möglicherweise zusätzliche Zeit benötigt wird. Die entsprechende Regelung für die Teilnahmefrist habe der Gesetzgeber schlichtweg vergessen.

„Wesentliche Änderung“

Neben der Frage der Anwendbarkeit des § 20 Abs. 3 VgV auf Teilnahmefristen, befasste sich das OLG Düsseldorf mit dem Begriff der „wesentlichen Änderung“.

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In dem der Entscheidung des OLG Düsseldorf zugrundeliegenden Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb modifizierte der öffentliche Auftraggeber in Folge von Bieterfragen die Eignungskriterien. Der Auftraggeber verschärfte die Vorgaben und Anforderungen an die Nachweise einer Referenzleistung, ohne die Teilnahmefrist zu verlängern.

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Eine nachträgliche Verlängerung der Angebots- oder Teilnahmefrist kommt nur in Betracht, wenn die Änderungen an den Vergabeunterlagen „wesentlich“ sind. Der Begriff der „wesentlichen Änderung“ ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls objektiv zu bestimmen.

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Nach Ansicht des Gerichts ist eine Änderung „wesentlich“, wenn sie sich –kausal – auf die Erstellung des Angebots oder des Teilnahmeantrags auswirkt.

Die Schwelle zur „Wesentlichkeit“ kann relativ schnell überschritten sein. Eine wesentliche Änderung ist regelmäßig bei einer Änderung der Eignungs- oder Zuschlagskriterien anzunehmen, insbesondere, wenn die zu erfüllenden Anforderungen erhöht werden. Denn hierdurch benötigen die Bewerber oder Bieter mehr Zeit, um die erhöhten Anforderungen durch entsprechend qualifizierte Nachweise in ihrem Angebot/Teilnahmeantrag zu erfüllen. Wenn sich die Änderungen jedoch ohne Aufwand in das Angebot oder den Teilnahmeantrag einarbeiten lassen, scheidet eine Fristverlängerung aus (vgl. § 20 Abs. 3 S. 3 VgV). Letztlich wird es dabei auf den Zeitpunkt ankommen, zu dem der Auftraggeber die Vergabeunterlagen ändert. Änderungen kurz vor Fristablauf dürften im Regelfall eine Fristverlängerung auslösen.

Ist eine Änderung nach diesen Maßstäben „wesentlich“, muss der Auftraggeber die Frist zwingend verlängern. Die Fristverlängerung als solche steht nicht im Ermessen des Auftraggebers.

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Bei einer wesentlichen Änderung der Vergabeunterlagen ist der Auftraggeber verpflichtet, die Angebots- oder Teilnahmefrist angemessen zu verlängern.

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Angemessene Verlängerung der Frist

Über Dauer und Umfang der konkret zu gewährenden Fristverlängerung entscheidet der öffentliche Auftraggeber hingegen nach pflichtgemäßem Ermessen. § 20 Abs. 3 S. 2 VgV verlangt, dass die Fristverlängerung in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Information oder Änderung steht. Die Fristverlängerung ist so zu bemessen, dass alle Bewerber oder Bieter hinreichend Zeit haben, um ihre Teilnahmeanträge oder Angebote an den neuen Anforderungen auszurichten. Unter Berücksichtigung des Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz ist im Zweifel eine großzügige Fristverlängerung zu gewähren.

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Wesentliche Änderungen der Vergabeunterlagen, die Angaben in der Auftragsbekanntmachung betreffen, bedürfen einer separaten Bekanntmachung. Das EU-Amtsblatt stellt hierfür ein entsprechendes Formular „Bekanntmachung über Änderungen oder zusätzliche Angaben“ zur Verfügung.

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Grenze der Änderungsbefugnis des Auftraggebers

Freilich sind Änderungen an den Vergabeunterlagen nicht grenzenlos möglich. Die Grenze der Zulässigkeit ist dann überschritten, wenn die Änderung derart wettbewerbserheblich ist, dass sich der Beschaffungsgegenstand ändert, d.h. der Auftraggeber ein „Aliud“ nachfragt. Hat die Änderung Einfluss auf den Kreis der potenziellen Bewerber/Bieter, erzwingt der Grundsatz der Beschaffungsidentität die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens.

Fazit: Bei nachträglichen Änderungen der Vergabeunterlagen sollte der Auftraggeber sorgfältig prüfen, ob es sich um wesentliche Änderungen handelt, die eine Verlängerung der Angebots- oder Teilnahmefrist erforderlich machen. Bei Länge und Umfang der Frist ist den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen.

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